(„C’est arrivé près de chez vous“ directed by Rémy Belvaux, André Bonzel, Benoît Poelvoorde, 1992)
“Once I buried two Arabs in a wall over there… Facing Mecca, of course.”
Die Bilder in einer heruntergekommenen Lagerhalle lassen Erinnerungen wach werden. In einer wilden Schießorgie rennen bewaffnete Männer durch den Staub und Schmutz, um dem Gegner das Lebenslicht auszublasen – dicht hinter ihnen rennen die Kameraleute, um die Szenerie und das Blutvergießen einfangen zu können. Was aussieht, wie Bilder aus dem Irak-Krieg, die man in den Nachrichten serviert bekommen hat, ist eine faszinierende Pseudo-Dokumentation, die Mann beißt Hund heißt und viele Jahre vor dem Irak-Krieg entstand, welche solche Aufnahmen salonfähig machten.
Umso überraschender sind die harschen Reaktionen auf diesen, zugegebenermaßen gewagten Film, der jegliche Grenzen des guten Geschmacks überschreitet – konsequent von Anfang bis zum bitteren Ende. Aber letztlich sammelt dieses Werk nur die Geschmacklosigkeiten zusammen, welche uns das private und öffentlich rechtliche Fernsehen in Form von immer realistischeren Dokumentationen ins Wohnzimmer gebracht hat. Also alles halb so wild? Nein und Mann beißt Hund will das auch gar nicht verharmlosen, sondern kritisiert die Moral des Fernsehens auf Härteste, womit es sich einreiht in die Liste der gnadenlos medienkritischen Streifen der Filmgeschichte wie Network oder Wag the Dog. Nur ist dieses, mit kaum vorhandenem Budget gedrehte Filmchen noch offener und schonungsloser, schmutzig und ohne Mitleid – der böse Bruder seiner ebenso kritischen Verwandten, könnte man sagen.
Erzählt wird hierbei die Geschichte von Benoit (Benoît Poelvoorde), einem jungen Mann, der alles und nichts macht. Er lebt in den Tag hinein und verdient sich sein Geld durch Raubzüge oder brutale Morde. Hinterrücks überfällt er einen Postboten, um sich seine Uniform überzuziehen und die Renten von alten Leuten zu kassieren. Oder er dringt in die Wohnung einer alten Frau ein, erschreckt sie, sodass sie einen Herzinfarkt erleidet und stirbt. Die Brutalität dieses humorvollen Mannes, der fast wie ein Entertainer wirkt, der nur mit seiner Anwesenheit einen Saal voller Menschen unterhalten kann, geht sogar so weit, dass er in das Haus einer Familie tritt, die Mutter zusammenschlägt, den Vater mit dem Gesicht auf das Waschbecken schlägt, bis das Blut an die Decke spritzt und dabei über französische Filme philosophiert. Der Sohn wird schließlich erstickt.
Das wäre alles schon schlimm genug, wären da nicht die jungen Männer, die ihn bei seinen Taten zusehen würden. Auf ihre ganz eigene Art sind es Komplizen, die sich mit dem Verbrecher bald anfreunden, doch sie sind auch Dokumentarfilmer, die all das auf Band festhalten, was Benoit an diesen aufregenden Tagen erlebt. Das Projekt ist dabei immer von finanziellen Engpässen bedroht, doch die Macher wollen ihre Studie auf jeden Fall zu Ende drehen, koste es, was es wolle. Ihre Einstellung ist dabei mit der eines Werner Herzog vergleichbar, denn sie lassen sich von nichts aufhalten – auch nicht vom Tod zweier Mitarbeiter, die im Kugelhagel zugrunde gegangen sind. Mehr noch, die Beobachter Benoits werden bald mehr als das, denn durch ihre Arbeit kommen sie dem Mörder näher, lernen ihn kennen und schätzen, sie werden zu Freunden und um ihr Werk nicht zu gefährden, fassen sie mit an, wenn es nötig ist. Nach und nach beladen sich die Reporter mit immer größerer Schuld, die sie ins Verderben stürzt.
Natürlich ist „Mann beißt Hund“ überspitzt, aber die Regisseure und Drehbuchautoren packen auch die Wahrheit am Schopf und kreieren daraus ihre schmutzigen Fantasien, die sie ins Groteske steigern, denn die Presse, in diesem Fall die Dokumentarfilmer, macht aus Morden und ihren Mördern Berühmtheiten, indem sie sie unter großen Schlagzeilen auf die Titelseiten aller Zeitungen bringen. Nichts anderes passiert hier. Die Presse ist daher indirekt an diesen Taten beteiligt, indem sie sie aufbauscht, sie schmücken die Taten aus, machen sie zu Großereignissen, dichten die Wahrheit um, wie sie sich am besten verkauft. Das prangerte Heinrich Böll in den 70er Jahren bereits bzgl. der Bild-Zeitung an und wenig später entstand der medienkritische Film Die verlorene Ehre der Katharina Bluhm, nach einer Vorlage von Böll. Da ist Mann beißt Hund nur die logische Fortführung einer solchen Medienkritik, eine Kritik an Journalisten, die vor nichts zurückschrecken.
Hier sind es nicht länger die indirekten Mittäter, sondern die direkten, die nicht nur bei den Taten zuschauen, sondern auch noch mitanpacken und auf den Geheiß von Benoit einem toten Farbigen die Hose herunterziehen, um seine Penislänge zu begutachten. Unentwegt wird hier über 90 Minuten der Finger auf die Wunde gelegt und gemahnt: der Mörder will sich inszenieren, aber vergesst nicht, dass dazu immer zwei gehören: es gibt auch welche, die ihm die Möglichkeit dazu geben. Das passiert in diesem Film, das passiert aber auch in der Realität und das macht sich dieses Werk zunutze, dass in unendlicher Boshaftigkeit diese Zustände anprangert. Deshalb muss C’est arrivé près de chez vous so schonungslos sein. Alles andere wäre verlogen und verharmlosend.
Die Verbrecherbande, bestehend aus Benoit und „seinem“ Kamerateam vergewaltigt eine Frau, die sie nicht nur nach der Tat auf dem Küchentisch liegen lassen, sondern ihr auch noch die Gedärme rausreißen oder es wird auf einen Partygast geschossen, bis das Blut auf die anderen Gäste spritzt, die gar nicht daran denken, sich die rote Flüssigkeit vom Gesicht zu waschen. Das ist absurd, geschmacklos, das ist grotesk und so schwarz wie die Seele des Teufels. Aber je mehr Leichen es gibt, desto besser ist es für die Dokumentarfilmer, denn sie wissen genau, dass sich ihr Werk je besser verkauft, desto höher die Anzahl der Opfer ist. Dagegen scheint das Eindringen in das Schlafzimmer einer Prostituierten noch harmlos, aber es ist ein geschickter Schachzug, um dem Zuschauer klarzumachen: Diese Szenen kennt ihr aus Reportagen, so weit ist das Fernsehen bereits und nun passt auf, was alles noch kommen kann. Das endet in einem Blutbad.
Benoit, als Täter und Star, wird dabei nie aus den Augen verloren, der von seinem Team angehimmelt wird. Er ist zwar ein armes Geschöpf, das nach Höherem strebt, sich aber eine Arroganz und Selbstsicherheit zugelegt hat, die das Anhimmeln ermöglicht, sodass man ihm folgt, wohin man will, ohne irgendetwas zu hinterfragen. Das macht zumindest das Reportage-Team so. Mann beißt Hund ist ein einzigartiger Film und vielleicht ist das auch besser so. Es ist aber auch ein Experiment, das in Form eines höchstens 60 Minuten langen Kurzfilms besser funktioniert hätte, wie als abendfüllender Spielfilm, aufgemacht wie eine Dokumentation, bei der man live bei den Geschehnissen dabei ist. Trotz einiger Längen wird man oft laut auflachen müssen – um sich unmittelbar danach daran zu verschlucken.
Ein Serienmörder, ein Kamerateam, viele viele Leichen – 1992 sorgte der belgische Spielfilm Mann beißt Hund für reichlich Kontroverse. Diese Woche erscheint die satirische Pseudoreportage erstmals auf DVD und ist heute noch genauso böse wie vor 20 Jahren.
Eine wichtige Regel für alle, die Leichen in einem Kanal versenken wollen: Bei Kindern und alten Menschen braucht es mehr Ballast, weil sie leichter sind. Schließlich wäre es äußerst unpraktisch, wenn die Körper wieder auftauchen. Solche und weitere Insidertipps erfahren wir von Benoît, und der sollte es wissen, schließlich arbeitet er schon lange und erfolgreich als Mörder. Und während seiner beruflichen Laufbahn hatte er es da schon mit allem zu tun. Eigentlich ist ihm kein Mord zu schade. Okay, Kinder bringt er eher ungern um, denn die haben normalerweise kein Geld. Das wäre Verschwendung von Munition. Bei Älteren sieht das schon ganz anders aus. Die mögen zwar geizig sein, aber nicht arm.
Schon diese paar Zeilen sollten genügen, damit ja niemand auf die Idee kommt, wir hätten es hier mit einem pädagogisch wertvollen Streifen zu tun. Dafür sorgt Benoît. Wenn er nicht gerade jemandem vorzeitig das Leben nimmt, zieht er über Farbige, Politiker oder Schwule her. Manchmal betrinkt er sich auch nur. Dass Benoît so freimütig Betriebsgeheimnisse ausplaudert, geschieht übrigens nicht ohne Grund: Er ist der Star seiner eigenen Reportage. Ein Filmteam begleitet ihn nämlich auf Schritt und Tritt, beobachtet ihn bei seiner „Arbeit“ und hilft, wenn Not am Manne ist, auch schon einmal selbst aus. Im Mittelpunkt von Mann beißt Hund steht nämlich weniger die Gewalt als solches, sondern unser medialer Umgang mit ihr, der Hang zur Sensationsgier, unser Voyeurismus, wie weit wir gehen, um ein Publikum zu finden.
Das Schockierende an der belgischen Satire ist deshalb auch nicht der selbstverliebte und völlig skrupellose Benoît, sondern die unscheinbaren Filmleute Rémy und André. Anfangs sehr zurückhaltend und unsicher verfallen sie mit der Zeit ebenfalls einem Gewaltrausch und verzichten auf moralische Prinzipien oder Hemmungen, bis es keinen wirklichen Unterschied mehr gibt zwischen den Männern vor und hinter der Kamera. Und auch zu den Menschen vor dem Bildschirm, denn wir werden durch unsere bloße Teilnahme nicht nur Zuschauer, sondern auch stille Mittäter.
Aber auch die Grenzen zwischen Inszenierung und Realität werden hier bewusst verwischt: Der gesamte Film wird in Form einer Dokumentation aufgezogen. Die Bilder sind schwarzweiß, oft verwackelt, die Macher des Films (Benoît Poelvoorde, Rémy Belvaux, André Bonzel) treten allesamt unter ihren bürgerlichen Namen auf, so als wäre man mit den reellen Filmemachern unterwegs. Allein dadurch unterscheidet sich das Debüt der drei Belgier von dem bewusst artifiziellen Natural Born Killers, der zwei Jahre später ein ähnliches Thema aufgriff und dabei sämtliche Möglichkeiten des Mediums auskostete.
Wenn wir uns hier überhaupt noch bewusst sind, dass wir vor einer gefälschten und parodistischen Dokumentation sitzen, dann weil das Gezeigte immer groteskere Züge annimmt und mehr als einmal die Grenze zum Geschmacklosen überschritten wird. Vögel zwitschern, wenn eine Leiche versenkt wird, diverse Morde geschehen fast beiläufig. Freunde schwarzen Humors werden deshalb an der Low-Budget-Produktion ihre helle Freude haben, sofern ihnen nicht das Lachen im Hals stecken bleibt. Allzu oft wird man sich Mann beißt Hund aber eher nicht anschauen können, da er doch zu einem großen Teil von den unerwarteten und überspitzten Situationen lebt. Wer jedoch das erste Mal mit dem Serienmörder um die Häuser zieht, wird ebenso verstört sein wie die Zuschauer vor 20 Jahren. Und eine solche Zeitlosigkeit muss man mit seinem Debüt erst einmal hinbekommen.
Fazit: Mann beißt Hund ist eine bitterböse, oft geschmacklose Satire auf Sensationsjournalismus aber auch auf die Rolle des Zuschauers dabei. Verpackt in eine Pseudodokumentation ist die Geschichte um den Mörder Benoît mal komisch, mal bizarr, sogar verstörend – und oft alles auf einmal.
Mann beißt Hund erscheint am 21. März auf DVD und Blu-ray
(Anzeige)