(„After the Thin Man“ directed by W.S. Van Dyke, 1936)
“Come on, let’s get something to eat. I’m thirsty.”
„Nach dem dünnen Mann“ ist der zweite von sechs Filmen um das Ehepaar Charles und schließt sich nahtlos an das vorher stattgefundene Abenteuer an, welches Nora und Nick in New York zu bestehen hatten. Mit dem Zug – und Hund Asta – wieder in ihrer Heimat San Francisco angekommen, sehen sie sich nach nichts mehr, als nach ein paar ruhigen Stunden zu zweit und vor allem nach viel Schlaf, denn in dieser Beziehung haben sie viel nachzuholen. Das Schicksal meint es jedoch nicht gut mit dem Ehepaar an diesem Silvestermorgen, denn kaum haben sie die Tür zu ihrem luxuriösen Anwesen geöffnet, purzeln ihnen zahlreiche Gäste entgegen, die eine Willkommensparty für ihre Freunde schmeißen wollten. Die Überraschung ist geglückt, auch wenn es keine fröhliche war. Der Versuch, sich zurückzuziehen scheitert kläglich, denn wenig später erhalten sie auch noch einen Anruf von Selma Landis (Elissa Landi), einem engen Familienmitglied, das hysterisch um Hilfe bittet.
Nora (Myrna Loy) und Nick (William Powell) können nicht anders, als Selma zu Hilfe zu eilen – sie begeben sich in das Anwesen ihrer Verwandten, um dort von ihren Sorgen zu erfahren. Wie sich herausstellt, vermisst sie ihren Mann, der sich seit Tagen nicht gemeldet hat. Wurde er entführt? Bevor sich das Ehepaar Charles auf die Suche nach ihm machen kann, entdecken sie ihn in einer chinesischen Kneipe, wo er, mit einer Tänzerin flirtend, allerdings keinen sehr guten Eindruck macht. Zudem weigert er sich, zu seiner Frau zurückzukehren. Er will fliehen, den Geruch der Freiheit schmecken. Als wäre das nicht genug, verkompliziert sich die Lage noch, denn David Graham (James Stewart in einer frühen Rolle) erscheint auf der Bildfläche als junger Charmeur, der sich in Selma verliebt hat. Er erhält von ihrem Mann das Angebot, dass dieser bereit ist, zu türmen und Selma für immer in Ruhe zu lassen, sodass der Liebhaber freie Bahn habe. Dieses Angebot gilt freilich nur, wenn er eine hohe Geldsumme von David erhält – noch an diesem Abend. Zögernd willigt David ein und übergibt seinem Rivalen den Betrag. Dieser scheint sein Versprechen zu halten, denn er taucht ein letztes Mal bei Selma auf, um die letzten Sachen zu holen, die er für seine Flucht benötigt.
Als wäre das Schicksal zu Selma nicht schon gemein genug gewesen, geschieht es, dass ihr Mann auf dem Rückweg nur wenige Meter vor dem Haus erschossen wird. Der Verdacht fällt sofort auf seine Frau, die frisch gebackene Witwe. Nun braucht es den Spürsinn eines Nick Charles, um seine angeheiratete Verwandte aus den Fängen der Polizei zu befreien – an seiner Seite sind wie immer Frau Nora und Hund Asta, der sich seinerseits ebenfalls mit einem Rivalen herumärgert, welcher es auf seine Hundedame abgesehen hat. Auf ihrem anstrengenden Weg durch den Sumpf des Verbrechens, der erneut mit Schlafentzug verbunden ist, stolpert das Ehepaar über einige Leichen, die den Fall nicht gerade vereinfachen…
Die ersten Filme um den „dünnen Mann“ repräsentieren die glamouröse, unbeschwerte Zeit Hollywoods – vor dem Ausbruch und während des Zweiten Weltkrieges. Die ersten beiden Filme sind Stellvertreter dieser Champagner-Zeit, während man später, als sich die Lage nicht nur in Europa verschlimmerte, krampfhaft versuchte, die Zuschauer mit diesen Filmen abzulenken. Dass ihnen das vorzüglich gelungen ist, beweist die Tatsache, dass der erste Streifen um das Ehepaar Charles ganze fünf Nachfolger nach sich zog. Der erste Nachfolgefilm – After the Thin Man – hält in den besten Szenen die Qualität des großartigen und noch immer erfrischenden Originals, was zu einem großen Teil den pointierten Dialogen zu verdanken ist, die fast allesamt über die Lippen von Nick und Nora kommen, von denen ersterer nach wie vor der wahre Held dieser Filme ist, der mit all seiner noblesse oblige selbst im betrunkenen Zustand nie seine vollkommene Eleganz und Grazie verliert.
Das ist eine erstaunliche Leistung, die William Powell in all den Filmen vollbracht hat, wobei hinzugefügt werden muss, dass gerade in dem zweiten Film der Reihe der Alkohol verhältnismäßig selten angerührt wird. Das schmälert das Vergnügen jedoch kaum, denn die Autoren haben sich sichtlich bemüht, neue Aspekte hinzuzufügen, die vor allem das Liebesleben des Hundes Asta betreffen, der gegen einen Kontrahenten jenseits des Zauns kämpfen muss, welcher sich an Mrs. Asta heranzumachen versucht. Das ist natürlich so zuckersüß, dass man nicht widerstehen kann, dieser Gemeinschaft des Haushaltes der Charles zu widerstehen, aber „Nach dem dünnen Mann“ ist – gerade durch die Neckereien zwischen Nick und Nora – nicht derart harmlos und bieder, wie es vielleicht den Anschein macht, da man es ebenfalls nicht versäumt hat, einen spannenden Kriminalfall zu entwickeln, der ganz Im Sinne des Erfinders Dashiell Hammett bald immer komplexere Formen annimmt und den Stil des Film Noir gekonnt auf die Schippe nimmt, in dem gegen Ende alle Verdächtigen in einem Raum versammelt werden, um mit einer süffisanten Aufklärung des Gentlemans Nick vertraut gemacht zu werden.
Das Beste an diesem Exemplar der erfolgreichen Filmreihe ist die wunderbare Balance zwischen einem konsequent verfolgten Kriminalfall und der leichtfüßigen Komik, die nie ins Alberne abzudriften droht. Auch das verdankt man der Konstellation des frivolen Ehepaares, die alle Wünsche eines Menschen in sich zu vereinen scheinen und als einzige den Mut haben, diese auch auszuleben – oder es zumindest zu versuchen. Sie wollen nach einer anstrengenden Reise allein sein, in ihrem eigenen kleinen Universum, in dem enervierende Verwandte keinen Platz haben, wäre da nicht diese Ansammlung von alten Skeletten, die man beim Dinner unterhalten muss.
Der einzige Weg, diesem langweiligen Abend zu entkommen, ist der humorvolle Anarchismus, das zu machen, was man will, sofern es im gegebenen Rahmen machbar ist. Das bedeutet auch, sich über die Leute, mit denen man den Tisch teilt, unverhohlen lustig zu machen. Das ist es, was Nora und Nick Charles so charmant macht und da sich diese Einstellung der Menschen bis heute nicht verändert hat, ist auch der „dünne Mann“ so hervorragend gealtert. Der Film verfügt über weniger Alkohol als sein Vorgänger und muss auch mit weniger bissigen Sprüchen auskommen, zudem ist die Laufzeit von fast 110 Minuten etwas zu viel des Guten, doch „Nach dem dünnen Mann“ unterhält immer noch erstaunlich gut und ist auch nach über 70 Jahren zu charmant, um ihm widerstehen zu können.
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