(„C’era una volta il West“ directed by Sergio Leone, 1968)
Nachdem Sergio Leone mit seiner Dollar Trilogie sozusagen den Spaghetti-Western zur Welt gebracht und dem Genre selbst neues Leben eingehaucht hatte, wollte der Italiener sich zunächst etwas Anderem widmen, doch die Produktionsfirma sah dies ein wenig anders und forderte einen letzten Western, mit anderen Worten einen sicheren Kassenschlager ein bevor man etwas Neues riskieren wollte. Heute wissen wir, dass nach Spiel mir das Lied vom Tod der Spätwestern Giù la testa folgte und erst mit Once upon a time in America die Cowboys ausblieben. Diese drei Filme bilden übrigens eine weitere Trilogie.
Wenn man sich die Namen der Schreiberlinge von Spiel mir das Lied vom Tod ansieht läuft nicht nur den Liebhabern des italienischen Kinos das Wasser im Mund zusammen: Leone engagierte mit Bernardo Bertolucci und Dario Argento (damals noch Filmkritiker) zwei begabte Künstler und verschmerzte das daraus resultierende Drehbuch mit seinem Sinn für Ästhetik, Schnitt und Kameraführung. Das Endprodukt ist bemerkenswert und in jeder Hinsicht bahnbrechend, nicht zuletzt deshalb, weil ganze Szenen dem meisterhaften Soundtrack von Ennio Morricone angepasst wurden. Anders als üblich wurde hier also nicht hinterher der Ton dem Bild angepasst sondern umgekehrt, ein Zeugnis dafür für wie wichtig Sergio Leone Musik im Film hielt.
Auch bei der Wahl der Darsteller landete man einen Volltreffer nach dem anderen. Für viele (Westernfans) war es damals ein regelrechter Schock, dass Henry Fonda, der bis hierhin immer den netten und rechtschaffenen Cowboy mimte, sich als der Oberfiesling entpuppte: nachdem er mit seinen Mannen aus dem Hinterhalt eine wehrlose Farmerfamilie samt Kleinkinder kaltherzig niedergemetzelt hat sehen wir zunächst nur den Rücken der Banditen. Erst der langsame Kameraschwenk lässt uns in die strahlend, blauen Augen von Fonda blicken.
Es ist nur eine von vielen Szenen die sich in das Hirn des Zuschauers brennt. Wie immer verlieren die hartgesottenen Kerle wenige Worte, stattdessen lässt Leone Bilder und Akustik für sich sprechen. Abermals überzeugt er mit innovativen Aufnahmen, etwa seinen bekannten Augen-Closeups oder Landschaftsaufnahmen mit Weitwinkel, und behält seine schmutzige und raue Optik des wilden Westens bei. Seine (Anti)helden sind dreckig, sie schwitzen und die meisten kennen ein Rasiermesser nur vom Hörensagen.
Der im Film (mal wieder) namenlose Protagonist und Star des Ensembles ist Charles Bronson. Warum er hinter Frank (Henry Fonda) her ist bleibt zunächst unklar, wir müssen aber bald feststellen, dass der schweigsame Outlaw ohne Rücksicht auf Verluste sein Ziel verfolgt. Erstmals in einem Leone-Film durfte auch eine Frau eine wichtige Rolle übernehmen, also nicht nur Hure oder Statistin sein. Claudia Cardinale spielt eine selbstbewusste Witwe die ebenso wie Bronson ein Hühnchen mit Frank zu rupfen hat. Anders als bei zeitgenössischen Produktionen wurde hier auf eine Romanze verzichtet, man wollte der Figur von Cardinale vielmehr eigenständige Komplexität verleihen und hat dies auch erreicht. Neben den bereits genannten Schauspielern müssen auch noch Jason Robards, Jack Elam, Woody Strode und Gabriele Ferzetti hervorgehoben werden. Allesamt spielen kleiner Rollen, erfüllen diese aber perfekt.
Nicht nur aufgrund des Produktionsjahres (Stichwort: 68er-Bewegung) sehen viele bei C’era una volta il West auch eine politische Message. Es ist allgemein bekannt, dass Spaghetti-Western, vor allem die später folgende Welle die Leone auslöste, als politisch links eingestuft werden. Für mich persönlich ist dieser für viele scheinbar so wichtige Faktor allerdings irrelevant und teilweise erst gar nicht nachvollziehbar. Vor allem bei Sergio Leone kann ich wenig bis gar keine Politisierung erkennen. Vielmehr wird sich der Zuschauer in den diversen, oft auch sehr stereotypischen Charakteren wiedererkennen und deren Taten und Motivationen bejahen oder verurteilen.
Es fällt mir wie immer schwer eine Rangordnung in Leones Gesamtwerk zu bringen, Spiel mir das Lied vom Tod ist aber mit Sicherheit der (dr)eckigste und raueste seiner Filme und hat deshalb seinen ganz eigenen Charme. Die neu erscheinende Blu Ray-Version bietet eine restaurierte Fassung mit einwandfreiem Bild und Ton, alternativ kann man auch die Originalversion anwählen. Die Extras sind sehenswert und nicht zu kurz ausgefallen, man hat das Gefühl ein gutes Zusatzwissen damit bekommen zu haben. Wer übrigens auf Steelbooks steht darf sich freuen, dass es auch eine solche Version geben wird. Übergeeks und Sammler werden sich vermutlich aber für die Limited Premium Edition im Holzkoffer, inklusive Mundharmonika und Zippo, entscheiden.
Spiel mit der Lied vom Tod erscheint am 9. Juni auf Blu Ray
Once Upon a Time in the West ist Sergio Leones drittletzter Western und zählt fraglos zu den ganz großen Meilensteinen der Filmgeschichte. Ein Unbekannter, genannt „Harmonika“ (mit unerreichter Abgeklärtheit gespielt von Charles Bronson), sucht den skrupellosen Verbrecher Frank (Henry Fonda), mit dem er noch eine Rechnung zu begleichen hat; Frank seinerseits hilft dem an Ganzkörperlähmung erkrankendem Morton, dem Erbauer der Eisenbahnlinie, Probleme, die sich seinem Projekt in den Weg stellen, aus dem Weg zu räumen, weshalb es zur Ermordung der Farmer- Familie McBain, durch deren Grundstück die Eisenbahnlinie verlaufen soll, kommt; die Witwe Jill McBain (atemberaubend: Claudia Cardinale), die soeben erst aus New Orleans angereist ist, tritt widerwillig ihr Erbe, die Ranch „Sweetwater“, an, und macht alsbald ebenfalls Bekanntschaft mit Frank, der sie dazu zwingt, mit ihm zu schlafen; Cheyenne, einem Schwerverbrecher, gelingt während eines Polizeitransportes die Flucht und er wird zu Jills „Beschützer“.
Meisterhaft gelingt es Leone, all diese verschiedenen Handlungsstränge zu einem artifiziellen Gesamtgebilde miteinander zu verweben. Das Ende des Films ist ein Abgesang auf die alten Western- Mythen und markiert durch die Großaufnahme der fortschreitenden Eisenbahngleisarbeiten den Beginn einer neuen Epoche; vorbei ist die Zeit der Revolver-Helden und namenlosen Herumtreiber – Frank ist tot, Cheyenne erliegt seiner Schussverletzung, „Harmonika“ reitet davon – und durch den Bau der Eisenbahn steht Amerika eine wirtschaftliche Glanzzeit bevor; der „Wilde Westen“ ist nichts als ein Märchen (siehe Originaltitel!) mehr.
In Once Upon a Time in the West setzt sich Leone des Weiteren mit dem “American Dream” auseinander: der Lebenstraum Mortons , mit seiner Eisenbahn den Pazifik zu erreichen, zerschlägt sich und Jill, die im großartigen Schlussbild der Bitte Cheyennes Folge leistet und den verschwitzen Gleisarbeitern Wasser bringt, wird zu Verkörperung der bevorstehenden wirtschaftlichen Blüte Amerikas. Bezeichnend für die dramaturgische Vorgehensweise des Films sind aneinandergereihte Einzelszenen mit einer Dauer von bis zu über 10 Minuten. Durch den Einsatz von musikalischen Leitmotiven, wirkt der Film (zumindest inszenatorisch) geradezu wie eine Wagner- Oper, wodurch Once Upon a Time in the West an epischer Breite wie wohl kaum ein anderer Film dieses Genres gewinnt.
Leones Inszenierung ist ebenfalls nur mit Superlativen zu beschreiben – das ständige Verharren der Kamera auf den staubigen und faltigen Gesichtern, die beeindruckenden Landschaftsaufnahmen und vor allem die Ruhe und Zeit, die sich der Regisseur in Bezug auf die Handlungsentwicklung nimmt (man denke nur an die Anfangsszene), machen Once Upon a Time in the West zu einem Meisterwerk. Die aus jenen Stilmitteln resultierende fatalistische Grundatmosphäre zieht den Zuschauer von der ersten Minute an in ihren Bann.
Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg grandios, wobei meines Erachtens vor allem Henry Fonda in seiner Rolle als Frank überragt – die Dämonie, die er mit jeder kleinsten Geste, jedem Augenzwinkern ausstrahlt, sucht in der Filmgeschichte ihres Gleichen – auf seinem Schimmel galoppierend umgibt ihn die Aura eines apokalyptischen Reiters. Unterlegt ist der Film mit dem vielleicht besten Score aller Zeiten aus der Feder von Leones Stamm- Komponisten Ennio Morricone. Unvergessen sind Stücke wie das berühmte Mundharmonika- Motiv, das Frank- Thema oder „Jill’s America“; in nur sehr wenigen anderen Filmen gehen Bild und Ton eine derart perfekte Symbiose ein.
Once Upon a Time in the West ist ein einzigartiges Meisterwerk, das sich nicht nur im Western- Genre als Stil bildend erwies.
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