Gottes eigenes Land

Gottes eigenes Land

(„God’s Country“ directed by Louis Malle, 1979 – 1985)

In einer “Spiegel”-Ausgabe vom Juni 2011 wird Tom Hanks anlässlich seines neuen Films Larry Crowne interviewt. Über drei Seiten wird der Leser Zeuge wie der beliebte amerikanische Schauspieler von den Vorzügen seines Landes schwärmt, den American Dream gar selbst darzustellen scheint und überzeugend klarzumachen versucht, dass für jeden Menschen in diesem Land alles ermöglicht wird. Amerika schenkt einem alles, wenn man sich selber in Bewegung setzt und etwas erreichen will und das mache dieses Land derart großartig. Um diese zuckersüßen, patriotischen Durchhalteparolen eines Strahlemannes wie Hanks besser verdauen zu können, erscheint die DVD-Box Louis Malle: USA genau zur richtigen Zeit, denn der gebürtige Franzose liefert eine etwas differenziertere Sicht auf ein Land, in das er sich zwar selbst verliebt hatte, ohne dabei aber einen klaren Blick für die Probleme des kleinen Mannes verloren zu haben. Teil dieser Box sind zwei Dokumentationen, die sich mit dem (angeblich existierenden) American Dream mehr oder weniger auseinandersetzen, ohne genau darauf abzuzielen, denn Louis Malle weiß: interviewt man Amerikaner, kommt man nicht umhin, früher oder später auf diesen alten Begriff zu stoßen.

Gottes eigenes Land klingt dabei wie spöttischer Hohn – doch das ist es nicht, wenn Malle das Leben in der Kleinstadt Glencoe, Minnesota beschreibt. Tatsächlich scheint diese Stadt das friedlichste Fleckchen Erde auf der ganzen Welt zu sein, wie aus den Gesprächen mit seinen Bewohnern deutlich wird. Die Großstädte wie Los Angeles oder New York seien böse, denn dort herrschen Anonymität vor, Verbrechen und Drogen. Der Polizeichef berichtet, wie in den Großstädten Kinder im Alter von nur acht Jahren anfangen, Gras zu rauchen, etwas, dass in dieser kleinen Stadt niemals denkbar wäre. Die Einwohner sind dafür natürlich sehr dankbar und glücklich. Vor allem die alten Einwohner denken nicht im Traum daran, von dort wegzugehen – bis auf einen Greis, der in einem Altersheim lebt und sich nichts sehnlicher wünscht, als zu sterben. Louis Malle begleitet ihn und ein Dutzend andere Menschen für einen kleinen Zeitraum im Sommer 1979, ehe er sie sechs Jahre später erneut besucht und ein kurzes Resümee zieht: ein Resümee darüber, was sich in dieser Stadt geändert hat und was in diesem ganzen Land vorgefallen ist, dass den Leuten Sorgen bereitet.

Malle zeichnet ein erstaunlich präzises Porträt einer verschlafenen Kleinstadt, in dem er nicht eine einzige ausschweifende Landschaftsaufnahme darbietet, sondern aufmerksam die Gesichter seiner Interviewpartner beobachtet. Durch die Menschen erfährt er alles über diese Stadt und ihre Gesellschaft, über ihre Träume und Ängste, über ihre verschrobenen Eigenheiten, wie zweimal in der Woche den Rasen zu mähen oder über ihre tagtägliche Arbeit wie die eines Mannes mit dicker Brille, dessen Auftrag es ist, Kühe mithilfe gefrorenen Spermas zu besamen. Immer wieder ist da die Frage nach dem American Dream – gibt es ihn überhaupt oder ist er nur Einbildung? Einige von den Menschen, mit denen Malle sich langsam anfreundet, haben in ihrem Leben Glück gehabt und wollen sich nicht beschweren. Sie sind gesegnet so wie der junge Farmer, der seinen Traum lebt zwischen all der Ernte und den Schweinen, aber er spricht auch von Kollegen, die es schwerer hatten, die keine eigene Farm bekommen haben, weil ihnen die Bank keinen Kredit bewilligen wollte. Der amerikanische Traum ist für sie zerplatzt.

Andere, die für ihre Überzeugungen einstehen und für die Freiheit kämpfen, werden dafür mit Gefängnis bestraft, so wie der junge Rebell, der Einberufungsbefehle für den Vietnam-Krieg verbrannte und dafür büßen musste. Auch das Thema Vietnam wird oft berührt und es ist für niemanden ein schönes Thema, denn es zeichnet ein zerrissenes Land nach und macht die Wut auf die Politiker jener Zeit deutlich, die gerade den kleinen Farmern in Glencoe das Leben immer schwerer machen. Sechs Jahre später, 1985, sind viele von ihnen pleite gegangen, andere können nicht mehr lange überleben und auf einem Hof macht sich ein Bauer über Ronald Reagan lustig, der Milliarden Schulden anhäufe und allen Menschen vorlüge, dass alles gut sei – weil er Schauspieler sei. Beim Abendessen gibt sich der Anwalt der Stadt nicht weniger pessimistisch. Wenn er über die Profitgier redet, die das Land irgendwann in den Abgrund treiben werden, werden einem die Bilder der Finanzkrise wieder erstaunlich deutlich vor Augen geführt und vielleicht erinnert man sich an die Zelte von Obdachlosen in Seattle, die aufgrund der Krise alles verloren haben. Für sie ist der amerikanische Traum zerplatzt. Peng.

Louis Malle ist jedoch nicht zu kritisch. Er bleibt fortwährend angenehm objektiv, zeichnet ein warmherziges Porträt von netten, aufgeschlossenen Menschen, die sich ihm anvertrauen, was es ermöglicht, viele kleine Probleme anzuschneiden und nach Ursachen zu suchen, wie etwa das Dilemma der zunehmenden Scheidungen, die vor allem dem Priester der Stadt Sorgen bereiten. Dann gibt es auch die Alkoholiker, die den ganzen Tag trinken, weil sie ansonsten nichts zu tun haben, es leben aber auch naive Optimisten in dieser Stadt, die eine Ausbildung nicht für nötig erachten, um ihren Traum leben zu können. Vielleicht werden sie damit erstaunlich weit kommen, doch Malles Momentaufnahme vermag das nicht klar zu beantworten. Muss sie auch nicht.

Die DVD-Ausgabe von Pierrot Le Fou hat es nun möglich gemacht, diese selten gezeigte Dokumentation erneut zu sichten oder erstmals zu entdecken – Louis Malles faszinierendes Porträt ist es wert. Ton- und Bildqualität sind dabei zufriedenstellend, wenn auch letztere hin und wieder von einem leichten Rauschen durchzogen ist. Ärgerlich mag sein, dass in der Originalversion auf Englisch nur Untertitel für die Interviews anwählbar sind, nicht aber für den Monolog des Erzählers, der in der deutschen Version synchronisiert wurde.



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