(„Toys in the Attic“ directed by George Roy Hill, 1963)
1963 lag das alte Hollywood in den letzten Atemzügen, die endgültig drei Jahre später mit Easy Rider ausgehen sollten. Toys in the Attic ist pures Hollywood der alten Tage. Süffige Musik von George Duning, oftmals in Sentimentalitäten und Kitsch abdriftende Dialoge, ein aufgesetztes Ende, damit der Zuschauer beruhigt und in einer guten Stimmung aus dem Kino gehen kann, ohne aufgrund von verheulten Augen gleich nach dem Besuch auf der Straße von einem Auto erfasst zu werden. Das Überraschende ist nun: „Puppen unterm Dach“ ist in Anbetracht all dessen ein überraschend überzeugender Film geworden, der in den besten Momenten durchaus zu packen versteht und von George Roy Hill als Regisseur bravourös und detailliert in Szene gesetzt wurde – mit dem richtigen Händchen, seine Hauptdarsteller führen zu können, denn die wahren Stars dieses Streifens sind die beiden Schwestern, dargestellt von Geraldine Page und Wendy Hiller.
Diese beiden Schwestern – Carrie (Page) und Anna (Hiller) – haben einen Bruder namens Julian (Dean Martin), der es im Leben nie zu etwas gebracht hat. Seit sie sich erinnern können, hat er sich mit kleinen Jobs herumgeschlagen, ehe er eine Schuhfabrik erwarb, die nun Pleite gegangen ist. Sie lieben ihren Bruder nichtsdestotrotz und besonders Carrie ist noch immer Feuer und Flamme für den charmanten Tunichtgut, der im Leben nie Erfolg hatte. Wann immer es geht, schickt Carrie ihm Geld, damit er mit seiner neuen Frau Lily (Yvette Mimieux) über die Runden kommen kann. Eines Tages kündigt sich bei den Schwestern ein wichtiger Besuch an – es ist ihr Bruder persönlich. Das erste, was Anna durch den Kopf schießt ist, dass er wieder einmal Geld braucht, da er abgebrannt ist. Im Gegensatz zu ihrer euphorischen Schwestern soll sie Unrecht behalten, denn Julian, der seine Frau mitbringt, ist alles andere als abgebrannt. Im Gegenteil, er bringt seinen geliebten Schwestern, die er in den letzten Monaten vernachlässigt hat, Dutzende teure Geschenke in Form von exklusiven Abendroben, einem Kühlschrank und zwei Karten für eine Europareise.
Beide verstehen die Welt nicht mehr und sind leicht verstört. Was ist mit ihrem Bruder passiert? Woher kommt das Geld? Aufgrund der Tatsache, dass sie durch die Vielzahl und Preise der ihnen erbrachten Präsente stark verunsichert sind, kippt die Stimmung schnell. Auf der Leinwand hat man selten in solch einem beeindruckendem Tempo gesehen, wie leicht Geld das Verhältnis zu anderen Menschen verändern kann. Dabei ist es weniger die Tatsache, dass Julian über Geld verfügt, sondern vielmehr die Frage, woher diese Unsummen kommen, die er in einem Briefumschlag mit sich herumträgt. Doch Julian schweigt und das Unbehagen in der Verwandtschaft wird größer. Man versucht, Erkundigungen einzuholen und auch seine Frau wird immer mehr verunsichert, denn bald gesteht sie ihren angeheirateten Verwandten, dass ihr Mann sich mit einer anderen Frau trifft. Carrie ist schockiert, denn ihre Gefühle für ihren Bruder sind wesentlich mehr als nur die einer Schwester…
Der Film basiert auf einem Bühnenstück von Lillian Hellman, die auch The Children’s Hour zu verantworten hat, ein Stück, das von William Wyler mit Audrey Hepburn und Shirley MacLaine als Film in den Hauptrollen prominent besetzt wurde. Es ist sozusagen ein typischer Stoff für die Autorin, in dem sie heikle Themen sanft anrührt und zu Themen ihrer Werke macht. War es in The Children’s Hour die lesbische Liebe, so ist es hier die Liebe unter Geschwistern, die thematisiert wird und überraschenderweise funktioniert das in George Roy Hills Film besser als in dem Drama von Wyler, aus dem Grund, da der sogenannte Subplot, die Nebenhandlung, genügend zu fesseln vermag und warum er derart spannend geworden ist, ist das Resultat einer cleveren Konstruktion: Julian kommt wie ein Fremder in diese kleine Welt der beiden Schwestern, denn er ist ihnen fremd geworden. Mit all seinem neuen Geld präsentiert er sich wie ein anderer Mensch, an den sowohl Carrie als auch Anna nicht gewöhnt sind.
Dem Zuschauer geht es genauso. Er kennt Julian nicht, er kann ihn nicht einordnen, er weiß nicht, wie er ihn beurteilen soll. Hat er tatsächlich ein gutes Geschäft gemacht und ist dadurch reich geworden oder hat er eine Bank überfallen, ist straffällig geworden und sucht nun Hilfe bei seinen Schwestern, die ihm immer zur Seite standen? Langsam machen wir uns ein Bild über ihn, aber wir tun das aufgrund der Dinge, welche die Schwestern über ihn erzählen. Als sie misstrauisch werden, sie, die ihren Bruder seit seiner Geburt kennen, kommen wir nicht umhin, es ihnen nachzutun. Das hält die Spannung und das Interesse, was nun letztlich hinter diesem unverhofften Reichtum steckt, lange aufrecht und kommt dem Film sehr zugute, der immerhin mit Yvette Mimieux eine eklatante Fehlbesetzung aufzuweisen hat. In einer Schlüsselszene weint sie sich bei ihrer Mutter aus, welche nie erwartet hatte, dass ihre Tochter jemals einen Mann fände. Doch Mimieux, ein Topmodel, ist nicht hässlich genug, um ihr das in irgendeiner Weise abkaufen zu können. Sie gibt sich Mühe, das naive Blondchen zu spielen – vielleicht ein wenig zuviel.
Auch Dean Martins Besetzung wurde oft harsch kritisiert. Er passe nicht in diese Rolle des Lebemannes, der es eigentlich nur gut meint, aber ein zu komplexer Charakter ist, um von einem Sänger und Komödianten dargestellt zu werden. Vielleicht stimmt das, Dean Martin wirkt mit seiner Haartolle, die in Gel getränkt ist, in der Tat in dieser Umgebung etwas fehl am Platze. Aber auch er bemüht sich und war offensichtlich durchaus dankbar für einen anspruchsvolleren Stoff wie diesem. Puppen unterm Dach ist kein großartiger Film, zu oft versinkt er in lebensfernem Kitsch, aber er erweist sich als überraschend unterhaltsames, in den besten Momenten packendes, psychologisches Kammerspiel, das nicht selten von Geraldine Page und Wendy Hiller großartig getragen wird – wäre man nur mutiger gewesen und hätte nach einem vielversprechenden, dystopischen Klimax abgeblendet…
Puppen unterm Dach erscheint am 11. August auf DVD
(Anzeige)