(„La notte“ directed by Michelangelo Antonioni, 1961)
In La Notte gewährt Michelangelo Antonioni Einblicke in die tristen Gefühlswelten zweier Menschen im Mailand der frühen 1960er Jahre.
Der Schriftstller Giovanni Pontano (Marcello Mastroianni) besucht mit seiner attraktiven, aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden Ehefrau Lidia (Jeanne Moreau) einen todkranken Freund der Familie, Tommaso Garani (Bernhard Wicki), im Krankenhaus. Nach der ernüchternden Visite nimmt Giovanni an einer Werbeveranstaltung für sein neuestes Buch teil, während Lidia zu Fuß durch die Straßen Mailands irrt, um die Orte ihrer Vergangenheit aufzusuchen. Nachdem die Eheleute, die einander nur noch wenig zu sagen haben, am Abend in einem Tanzlokal gastiert haben, beschließen sie der Einladung zu einer Party, die ein reicher Mäzen von Giovanni auf seinem Anwesen veranstaltet, Folge zu leisten. Dort angekommen gehen beide ihre eigenen Wege – während Lidia in unangenehme Gespräche mit alten Bekannten verwickelt wird und mit einem charmanten jungen Mann flirtet, kokettiert Giovanni mit der hübschen Valentina (Monica Vitti), der Tochter des Gastgebers…
Anhand der reduzierten Handlung, die die Ereignisse eines einzigen Tages und des darauf folgenden Abends im Leben eines Ehepaares fokussiert, schildert Antonioni die unüberwindbaren Gegensätze zweier Menschen, die einander fremd geworden sind; das Gefühl der gegenseitigen Verpflichtung resultiert lediglich aus dem ehelichen Bündnis und der Erinnerung an vergangene Tage, die in Giovannis Liebesbriefen dokumentiert ist.
Valentina, die Erbin des väterlichen Industrie-Imperiums, befindet sich bereits in jungen Jahren in einer Lebenskrise, da niemand ihre künstlerische Begabung zu erkennen vermag und ihr wider Willen die Rolle der „Millionärstochter“ zugewiesen wurde. Eben jene unzufriedene junge Frau wird zur Projektionsfläche des zerrissenen Ehepaares, da der Schriftsteller sie umgarnt und sie somit (unfreiwillig) den Anstoß zu einem Streit zwischen Lidia und Giovanni erregt. Angesichts all der Frustration und Enttäuschung, die das Ehepaar sie im Verlauf des Abends hat spüren lassen, wirft sie den beiden zu Beginn des Morgens leidvoll vor: „Ihr habt mich restlos fertig gemacht!“.
Doch ist es nicht nur die Krise zweier Menschen, die Antonioni in seinem Film verarbeitet, viel eher thematisiert er die emotionale Verwahrlosung innerhalb einer von Industrialisierung geprägten Gesellschaft; jene kühle Distanz, die die Menschen zueinander wahren, provoziert zuweilen unkontrollierte Gefühlsausbrüche – nachdem Giovanni das Krankenzimmer seines Freundes Tommaso verlassen hat, klammert sich plötzlich eine unbekannte Frau um ihn, die ebenfalls eine Patientin im Krankenhaus ist und die Zuneigung eines fremden Mannes erfleht…
Bereits in der komplexen Anfangssequenz geleitet der Regisseur den Zuschauer zu der dissonanten Musik Giorgio Gaslinis in einem gläsernen Aufzug hinab in die Hölle des Alltagslebens in der Industriestadt Mailand. Diese hermetische Metaphorik ist auch in den sehr präzisen Bildern des Kameramanns Gianni Di Venanzo zu entdecken: eine kaputte Uhr, eine schwarze Katze, die den steinernen Kopf einer Statue betrachtet, in Trauerkleidung gehüllte Partygäste etc..
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