Nader und Simin

Nader und Simin – Eine Trennung

(„Jodaeiye Nader ez Simin“ directed by Asghar Farhadi, 2011)

“Didn’t you say it’s not serious?”
It got serious.“

Als zu Beginn Nader und Simin, das Ehepaar, das sich nun scheiden lassen will, in einem kargen, kalten Raum Stuhl an Stuhl sitzen, regiert eine solche Kühle zwischen ihnen, dass es scheint, als befände sich eine mehrere Meter dicke Wand zwischen ihnen und unweigerlich entsteht das Bild aus Ingmar Bergmans Szenen einer Ehe vor dem geistigen Auge, als beide Partner nebeneinander im Bett liegen und sich nichts zu sagen haben. Eigentlich hätten sich Nader und Simin noch vieles zu sagen, eigentlich geht es nur um einen kleinen Streit, den man durch tiefgehende Gespräche lösen könnte, doch hier in diesem weißen Raum, wo der Putz von den Wänden bröckelt, sollen sich ihre Wege vorerst trennen. Sie lassen sich scheiden, sehen sich kaum an. Vieles bleibt unausgesprochen und doch erfährt man in diesen ersten Minuten alles – der ganze Konflikt wird offen gelegt: Simin glaubt, dass ihre gemeinsame Tochter im Ausland eine bessere Zukunft hätte. Deshalb will sie den Iran verlassen; am besten mit ihrer Tochter und ihrem Mann, doch dieser weigert sich, zu emigrieren. Er könne und wolle seinen kranken Vater, der an Alzheimer leidet und stete Aufsicht benötigt, nicht alleine lassen in dieser schweren Zeit. Nader entscheidet sich für seinen Vater und gegen seine Tochter.

Diese bleibt jedoch zunächst bei ihrem Vater wohnen, der möglichst schnell eine Aufsicht für seinen Vater akquirieren muss. Für alle Beteiligten beginnt durch diese schmerzhafte Scheidung eine qualvolle Periode der Überforderung: Razieh braucht diese Stelle, um für sich und ihren Mann, der bei mehreren Gläubigern in der Schuld steht, Geld zu verdienen. Dass sie für diese anstrengende Arbeit jedoch kaum geschaffen ist, wird ihr zu spät bewusst. Als Naders Vater sich als inkontinent erweist, fühlt Razieh, deren Tochter sie stets begleitet, die ganze Last auf ihren Schultern, denn nicht nur ist der Weg zur Arbeit und die Sorge um den Demenzkranken für die schwangere Haushaltshilfe nahezu unzumutbar, doch nun muss sie zusätzlich mit ihrem Glauben kämpfen, der es einer Frau verbietet, einen Mann an den Genitalien zu waschen. Razieh bricht zusammen. Je länger sie in dieser Wohnung arbeiten muss, desto mehr spitzt sich das Drama zu, bis es schließlich zur Katastrophe kommt…

Asghar Farhadi seziert seine Charaktere auf das Genaueste. Er durchleuchtet sie und lässt den Schmerz, den sie alle durchmachen müssen, lebendig werden. Indem er ihre Seelen offenlegt, begreifen wir ihre Handlungen und die Fehler, die sie begehen – weniger aus einfacher, heuchlerischer Sympathie, die uns der Regisseur anheim legen will, um Identifikationspunkte zu sammeln, sondern vielmehr, um eine Verurteilung seiner Charaktere unmöglich zu machen. Indem wir die Hintergründe dieser alltäglichen Dummheiten und Unachtsamkeiten auf der Leinwand präsentiert bekommen, wägen wir ab und werten. Diese Wertung fällt zwangsläufig nicht als Verurteilung aus, weil Farhadis Porträt über Schuld und Sühne sich als humane Studie versteht, die immer wieder nach den Ursachen fragt und dadurch Wechselbeziehungen und Kettenreaktionen heraufbeschwört, die sich gegenseitig beeinflussen und eine Sackgasse bilden, aus denen die Figuren in dieser Beobachtung verzweifelt zu entkommen versuchen.

In diesen Wechselwirkungen, Interessenskonflikten und der Erforschung nach Ursache und Wirkung entpuppt sich das zurückhaltende, augenscheinlich so simple Kammerspiel als äußerst komplexes Drama über Stolz, Ehre und kulturelle Unterschiede. Natürlich ist es nun verführerisch, Überlegungen über diese Themen in Bezug auf den Iran anzustellen und den Film vor dem Hintergrund dieser Kultur zu interpretieren, doch würde das den Kern verfehlen, denn die Themen sind universell und treffen auf jedes Land zu, indem Menschen gegen verletzte Gefühle kämpfen und ihren Hals aus der Schlinge ziehen wollen – auch wenn dies bedeutet, die Wahrheit nach den eigenen Bedürfnissen biegen zu müssen. Die Suche nach einem Schuldigen für all die Missetaten führt somit unweigerlich zur Beschäftigung der Umstände und unweigerlich sieht sich ein jeder Protagonist mit seinen eigenen Fehlern konfrontiert, die er nicht zugeben will, was zwangsläufig ihn und alle Beteiligten immer weiter in Bedrängnis bringt, bis jeder dazu beigetragen hat, sein eigenes Leben und das der anderen zu zerstören. Das ist wohl das tragikomische an dieser Geschichte: obwohl niemand an der ursprünglichen Tragödie Schuld hat, ist der Mensch verantwortlich dafür, daran zu zerbrechen, weil er sich mit sich selbst nicht auseinandersetzen kann. „Nader und Simin“ ist ein starkes Charakterporträt, einfühlsam und intensiv, ehrlich und schonungslos.



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