(„Komt een vrouw bij de dokter“ directed by Reinout Oerlemans, 2009)
„Liebe trifft Leben“ hat viele Probleme, die man auf einen Punkt herunterbrechen kann: der Film wird aus dem falschen Blickwinkel erzählt. Die Geschichte erlebt der Zuschauer hier aus der Sichtweise des herzlich unsympathischen Stijn (Barry Atsma), einem jungen Unternehmer, für den das Leben eine einzige Party ist: sein Job bei einer Werbeagentur, seine Ausflüge in fremde Länder, sogar seine Ehe ist bedeutungslos, denn bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit geht er seiner Frau Carmen (Carice van Houten) fremd.
Kennen gelernt hat er sie einst in seinem Job, als ein halbes Dutzend aufstrebender, glatter Typen mit gegeelten Haaren und aufgeknöpftem Hemd sich um einen Tisch versammeln, um mit unangenehmer Selbstsicherheit und Coolness neue Geschäftsideen mit „Geil“ begrüßen, als wären sie längst auf dem Absprung in den Urlaub, sich mit ihren gestählten Körpern in den nächsten Swimming-Pool stürzend. Was hier geschildert wird als zweifelhafte Selbstparodie, erreicht seinen Höhepunkt im ersten Rendezvous des zukünftigen Paares, geschildert im Schnelldurchgang, gekrönt mit den Worten Stijns: „Du bist also eine von denen, die die Welt noch für eine Scheibe halten und die denken, wenn sie Amsterdam verlassen, fallen sie herunter. Du würdest nicht fallen. Ich fange dich auf.“ Das sind Dialoge aus einer Fernseh-Seifenoper, die gepaart mit den stilisierten Bildern der vor Schönheit glänzenden Gesichter fast peinlich sind – in welcher Welt befinden wir uns hier?
Es ist die Welt der Schönen, Jungen und Erfolgreichen. Es geht um Sex, aber nicht um Liebe. Eigentlich ist Love Life daher ein Anti-Liebesfilm, indem mit Vorliebe splitternackte Körper gezeigt werden, schamlos durch offene Wiesen rennend, um ihrem einzigen Interesse, dem Geschlechtsverkehr, nachzugehen. Bis zum ersten Geschlechtsverkehr dauert es bei Stijn und Carmen natürlich nicht lange, zu groß ist die Lust des Fleisches, zu schwach der Geist, zu schön die Körper, zu vollkommen die Rundungen und Verführungen.
Es ist eine bittere Schilderung zweier Menschen, die jede Verantwortung für ihr Handeln ablehnen, vielleicht stellvertretend für eine ganze Generation, die hier angeprangert wird. Als Film funktioniert das nicht. Denn die Wege des jungen Ehepaares sollen nicht derart gerade verlaufen, wie sie es sich wohl wünschen: Carmen hat Brustkrebs. „Geht eine Frau zum Arzt“, so lautet der niederländische Originaltitel, der Beginn vieler Witze und Drehbuchautor Gert Embrechts behandelt die Krankheit wie einen solchen. Stijn ist nicht fähig, seine Frau zu stützen. Er scherzt, zeigt sich cool, nimmt es scheinbar kaum ernst. Wir schaffen das schon, was ist schon Krebs, was bedeutet diese überschätzte Krankheit schon für mich?
Genau hier liegt das zentrale Problem des Films: was bedeutet die Krankheit für den emotional gestörten Stijn? Die Frage ist nicht: was bedeutet diese Krankheit für Carmen, die primär Betroffene, die sich von ihrem liebenden Ehemann Witze anhören muss, während der Krebs immer weiter voranschreitet. Wie können wir uns als Zuschauer mit einem Mann identifizieren, der seiner Frau nach Bekanntgabe, dass der Krebs besiegt sei, jegliche Hoffnung und ihr das Lächeln aus dem Gesicht nimmt, indem er fest überzeugt an einem sonnigen Nachmittag verkündet, die Krankheit werde wiederkommen, man müsse nun folglich den Augenblick genießen.
Dein Leben ist vorbei, mein Schatz, sagt er, bevor er einen Anruf seiner Geliebten entgegen nimmt, mit der er wenig später ein Schäferstündchen verbringt. Wie angemessen die Kritik an Stijn, der immer weiter in den Abgrund steuert, sein mag, ist zweitrangig. Aus seinem Blickwinkel erzählt, fehlt dem Film naturgemäß ein emotionales Zentrum, bleibt in der ersten Hälfte kalt und steril, oft gepaart mit einer unangenehmen Mischung aus alberner Sitcom, indem Carmen ihrem Mann, als sie von seinen Seitensprüngen erfährt, eine Erdbeertorte ins Gesicht schmeißt, und dem Ansatz von hoffnungsloser Tragödie, als man die Heldin auf ihrem Gang zur Chemotherapie begleitet.
Weil Stijn, der erfolgsverwöhnte Schönling, sich immer mehr in Affären flüchtet, da er unfähig ist, die ernsten Seiten des Lebens zu akzeptieren, lässt er seine Frau alleine. Sie leidet, während ihr Leid auf der Leinwand keinen Ausdruck findet, zu fokussiert ist man auf Stijn, wie er verzweifelt versucht, sein altes, sorgenloses Leben zu erhalten. Nach dessen Läuterung, die zwangsläufig kommen muss, macht der Film eine 180°-Wendung, eingeläutet durch zaghafte Versuche und Andeutungen, einen Einblick in die Gefühle und das Seelenleben Carmens zu bekommen, als würde man versuchen, zu kompensieren, dass man sie in der ersten Hälfte des Films derart sträflich vernachlässigt hat. Was folgt, ist fast unangenehm aufdringlich, aber weshalb sollte Krebs auch angenehm beschrieben werden? Ohne Taschentücher kann man die fortschreitende Krankheit nicht mitverfolgen, wenn die Kamera unerbittlich draufhält auf das Sterben der Carmen, die – beeinflusst von ihrem Mann- versucht, das letzte bisschen Leben in vollen Zügen zu genießen und zu scherzen.
So gesehen besteht Love Life aus zwei Hälften – ein interessantes Konzept, das als Film erstaunlich schlecht funktioniert, denn zu kalt ist der Beginn, zu abstrakt und distanziert, um ein emotionales Zentrum aufbauen zu können – etwas, das man versucht, in der zweiten Hälfte zu kompensieren, indem man beim Zuschauer auf die Tränendrüse drückt. Aus einer Tragödie auf Seifenopern-Niveau wird eine aufdringliche Schilderung des Verfalls, die es in den schlimmsten Momenten schafft, den bemühten Realitätsanspruch mit melodramatischen Auseinandersetzungen, die von einem sich aufbäumenden Streichorchester untermalt werden, zunichte zu machen. Mit ein paar gelungenen Szenen ist Love Life eine Enttäuschung und ein Ärgernis dazu, denn all die Kritik an der Generation Sorglos hätte ebenso gut funktioniert, hätte man den Blickwinkel Carmens als Erzählperspektive gewählt. Stijn funktioniert nämlich weder als Held, noch als Anti-Held.
Love Life erscheint am 9. Februar auf Blu Ray und DVD
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