(„Tyrannosaur“ directed by Paddy Considine, 2011)
Joseph (Peter Mullan) ist kein besonders guter Mensch. Seinen Hund tötet er im Affekt mit einem Wutausbruch, der mit einem harten Tritt in die Rippen endet. Einen Postangestellten bedroht er, um anschließend die Fensterscheibe seines Arbeitsplatzes einzuwerfen. Vulgäre Jugendliche schlägt er mit einem Billardqueue nieder, lehrt ihnen die Angst und die gottesfürchtige Verkäuferin, bei der er Gesellschaft sucht, hänselt er aufgrund ihres Glaubens und bringt ihr heiles Weltbild ins Wanken. All das tut er vornehmlich aus dem Grund, weil er es nicht länger ertragen kann, Menschen zu sehen, die glücklicher sind als er. Und davon gibt es viele, denn der Nihilist Joseph hat alles verloren, was ihm etwas bedeutete. Seine Frau, die er in liebevoller Verabscheuung „Tyrannosaurus“ nannte, ist vor fünf Jahren an einem Herzinfarkt gestorben, sein bester Freund erliegt einem Krebsleiden, das schmutzige Milieu, in dem er zuhause ist, widert ihn an. Es ist die Wut eines verrotteten, gewalttätigen und vulgären Mannes gegen eine verrottete, gewalttätige und vulgäre Gesellschaft, die er mit Gewalt bekämpfen will.
Joseph ist jedoch – auch wenn er das niemals zugeben würde – kein von Grundauf derart schlechter Mensch, wie er es gerne sein würde, um seiner Wut ein Ventil geben zu können. Der kleine Nachbarsjunge kann sich des Schutzes Josephs sicher sein; nie soll jemand dem Kind auch nur ein Haar krümmen. Weil Joseph sich selbst anwidert, bricht er eines Tages in einem kleinen Geschäft, in dem er sich hinter einem Kleidergeschäft versteckt, in Tränen aus. Es ist das Geschäft Hannahs (Olivia Colman), die für ihn betet, ehe sie zum Opfer der Anfeindungen des verbitterten Mannes wird. Weil aber Joseph trotz all seiner schlechten Seiten, die ihn zum Außenseiter machen, noch den letzten Rest Wärme und die Sehnsucht nach Geborgenheit in sich spürt, kommt er nicht von Hannah los. Ihre Naivität mag ihn anwidern, doch ist sie diejenige, die ihn bereitwillig aufnimmt, nachdem er von einer Gruppe Immigranten niedergeschlagen wird und eines Morgens blutend vor ihrem Geschäft sitzt. Zuflucht sucht er in dieser heilen Welt, die von Gott beschützt wird, während er immer wieder von Anfällen unkontrollierter Aggression geplagt wird.
Dass die heile Welt der naiven Hannah irgendwann zerbricht, müsste ihn, der die Verkäuferin mit Flüchen überschüttet, daher eigentlich freuen. Im Gegenteil. Der letzte Ort einer Zuflucht vor sich selbst ist vor der Zerstörung einer bösen, unerbittlichen Welt nicht sicher. Als Hannah ihm eines Tages mit einem blauen Auge gegenübersteht, weil ihr Mann sie geschlagen und vergewaltigt hat, beginnt es in Joseph nicht nur zu brodeln, der Ungerechtigkeit ein Ende zu bereiten – er sieht sich auch mit seiner eigenen Vergangenheit, seinem verdorbenen Charakter, der seine verstorbene Ehefrau psychisch misshandelt hat, konfrontiert und versucht verzweifelt mit Hannah die Fehler seiner Vergangenheit wieder gutzumachen.
Sicherlich hätte man diese Ausgangssituation als Anlass zur lehrreichen Moralstudie nehmen können, um die Charaktere auf den rechten Weg zu bringen. Sicherlich hätte man Joseph, den fluchenden und trinkenden Wutbürger als Amokläufer inszenieren können, der kein Morgen kennt und alles kaputt macht, was ihn kaputt macht. „Tyrannosaur“ ist aber kein versöhnlicher Blockbuster, der seinen Zuschauer das bietet, was sie sehen wollen, um, von einem Happy-End beglückt, friedlich schlafen zu können. Er ist auch kein einseitiges, erbarmungsloses Rachedrama, sondern vielmehr ein intensives Charakterporträt zweier Menschen, die lediglich davon vereint werden, ein besseres Leben führen zu wollen. Weil diese Charaktere – gewalttätig und zärtlich, behütet und durch den Schmutz gezogen – sich in all ihrer Vielfalt erst langsam dezent und nie zu offensichtlich entblättern, gibt das Regisseur und Drehbuchautor Paddy Considine Gelegenheit zu einigen wenigen, zurückhaltenden und daher umso berührenden Momenten der Wärme und des Glücks wie zarte Sonnenstrahlen, die gelegentlich durch die dichten Wolken brechen.
Dass Joseph niemals gegen Menschen antritt, die größer und ebenso gewalttätig sind wie er, ist dabei die ehrliche Erkenntnis bei einem Film, dem durch erstklassige Darsteller mit Wut, Trauer, Ekel und all ihrem Zynismus Leben eingehaucht wird. Paddy Considine läuft dabei immer wieder Gefahr, die harte Charakterzeichnung des verbitterten Mannes mit der Verwendung des F-Worts in unzähligen Variationen, als wolle man einen Rekord brechen, und voyeuristischen, kaum notwenigen Zugaben zu überanspruchen und aus dem Ruder laufen zu lassen. Hauptdarsteller Peter Mullan tut hingegen sein Bestes, dem in einer unaufgeregten, angemessenen Art entgegenzuwirken, um aus der Figur Josephs keine Dr. Jeckyll/Mr. Hyde-Karikatur werden zu lassen. Den Film als schmutziges, vielseitiges Porträt verlorener Menschen rettet das.
Tyrannosaur ist seit 8. März auf Blu Ray und DVD erhältlich
(Anzeige)