(„360“ directed by Fernando Meirelles, 2011)
Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien, der einen Tornado in Texas auslöst – die meisten von uns dürften schon einmal von der Chaostheorie gehört haben, der zufolge schon kleinste Ereignisse ein ganzes System grundlegend verändern können. Der Film 360 – Jede Begegnung hat Folgen übernimmt diese Grundidee und überträgt sie auf uns Menschen, beschreibt, wie eng das eigene Leben mit dem der anderen, teils völlig fremden verknüpft ist, ohne dass wir es überhaupt bemerken. Ganz so katastrophal wie ein Tornado sind die Auswirkungen für die Charaktere in dem Film zwar nicht, kräftig durchgewirbelt werden deren Schicksale aber schon.
Dabei fängt auch hier alles wenig spektakulär an: Der Brite Michael Daly (Jude Law) ist nach Wien gereist, um dort ein Geschäft abzuschließen, und wartet in einer Hotelbar auf die Prostituierte Blanca (Lucia Siposova). Als jedoch ein Geschäftspartner (Moritz Bleibtreu) dort auftaucht, macht Michael einen Rückzieher, geht auf sein Zimmer und hinterlässt seiner Frau Rose (Rachel Weisz) eine Nachricht, dass er sie liebt. Diese beschließt nun ihrerseits, die geheime Affäre mit Rui (Juliano Cazarré) zu beenden. Doch zu dem Zeitpunkt hat Ruis Freundin Laura (Maria Flor) längst erfahren, dass er sie hintergangen hat, und reist zurück nach Brasilien. Doch zunächst muss sie einen unfreiwilligen Zwischenstopp in Denver einlegen, wo sie zuerst John (Anthony Hopkins) und dann Tyler (Ben Foster) begegnet.
Nach diesem Prinzip funktioniert der gesamte Film: Ein Mensch begegnet einem anderen, beeinflusst ein wenig dessen Leben, woraufhin der andere weiterzieht und wieder jemandem begegnet. Eine durchgängige Handlung hat der Episodenfilm damit natürlich nicht zu bieten, im Mittelpunkt stehen vielmehr die diversen Einzelschicksale der Protagonisten und die Grundidee einer vernetzten Welt. Soweit in Ordnung. Was 360 – Jede Begegnung hat Folgen aber fehlt, ist ein zwingendes Element. Wie schon in seinem letztem Film – der Verfilmung des Bestsellers Die Stadt der Blinden – wirft uns Fernando Meirelles in eine Situation und lässt uns anschließend in ihr allein. Während der Zuschauer dort aber zumindest noch über allgemeine Dinge wie die Natur des Menschen nachdenken konnte, ist hier nicht ganz klar, was denn die Aussage sein sollte.
Wenn es darum ging, die unvorhergesehenen Folgen einer Begegnung aufzuzeigen, wäre es vielleicht interessant gewesen, die Alternativen aufzuzeigen, so wie es Lola rennt seinerzeit gemacht hat. So aber wissen wir nicht, wie das Leben weitergegangen wäre, hätte sich Michael am Anfang anders entschieden. Wir wissen nicht einmal, ob es tatsächlich einen Unterschied gemacht hat, ob etwa Rose nicht ohnehin ihren Liebhaber verlassen hätte. Dadurch bleibt das Geschehen zu flüchtig und irgendwo auch banal.
Am besten funktioniert 360 – Jede Begegnung hat Folgen dann auch, wenn man über den theoretischen Überbau gar nicht erst nachdenkt und sich auf die einzelnen Episoden konzentriert. Gerade die kleineren, intimeren Momente zwischen den (Möchtegern-)Paaren sind doch recht einfühlsam inszeniert, auch die traurige Hintergrundgeschichte von John geht zu Herzen. Schade nur, dass fast alle Schicksale sich zu sehr am Thema der Untreue bzw. Sex aufziehen, da hätte ein bisschen mehr Abwechslung nicht geschadet. Und auch das zu dramatische Ende macht unnötig den Erzählfluss und die Stimmung der vorangegangenen Episoden zunichte.
360 – Jede Begegnung hat Folgen ist seit 14. März auf DVD und Blu-ray erhältlich
(Anzeige)