(„Dirty Girl“ directed by Abe Sylvia, 2010)
Gäbe es einen Oscar für die beste unbelebte Nebenrolle, sie hätte sie verdient. Zugegeben, so richtig anspruchsvoll sind Joans Dialoge nicht, dafür begeistert sie mit einem ausgeprägten Minenspiel: Ob fröhlich oder traurig, wütend oder schockiert, ein Blick auf ihr Gesicht und wir wissen, sofort, was in ihrem Inneren vor sich geht. Und das ist für einen Mehlsack doch erstaunlich viel. Andererseits, für ein verarbeitetes Weizenprodukt hat Joan auch schon eine Menge durchmachen müssen, vor allem dank ihrer verkorksten „Eltern“.
Die Mutter, Danielle (Juno Temple), ist beispielsweise alles andere als ein gutes Vorbild für die Tochter. Statt für die Schule zu lernen, verbringt sie ihre Zeit lieber damit, hübsche Mitschüler anzugraben und dann wieder fallenzulassen. Clarke (Jeremy Dozier) würde das auch gerne tun, aber mit seinem Übergewicht und seiner Introvertiertheit hat er natürlich nicht die besten Voraussetzungen, beim eigenen Geschlecht zu landen. Von anderen körperlichen „Mängeln“ mal ganz abgesehen. Was die schulischen Leistungen angeht, schenken sich die beiden nichts, weshalb sie sich auch das erste Mal in einem Sonderunterricht begegnen. Und genau dort wird ihnen die Verantwortung für Joan übertragen, damit beide ihre soziale Kompetenz steigern können und ein Gefühl dafür entwickeln, was es heißt, Eltern zu sein.
Doch die Jugendlichen teilen noch mehr als ihre Vorliebe fürs männliche Geschlecht und katastrophale Schulnoten: Sie sind zu Hause sehr unglücklich. Clarkes Vater Joseph (Dwight Yoakam) hat ein nicht unerhebliches Problem mit der sexuellen Orientierung seines einziges Sohnes. Seine Mutter Peggy (Mary Steenburgen) könnte damit vermutlich noch leben, ist aber zu schwach, um Joseph etwas entgegenzusetzen. Und auch Danielles Mutter Sue-Ann (Milla Jovovich) glänzt nicht gerade mit Souveränität und persönlicher Stärke. Schließlich will sie den Mormonen Ray (William H. Macy) vor allem deswegen heiraten, damit wieder ein Mann im Haus ist. Denn die Beziehung zu Danielles leiblichem Vater ging bereits vor deren Geburt in die Brüche. Bis heute träumt Danielle davon, wer er wohl gewesen sein mag, schweigt sich Sue-Anne doch beharrlich darüber aus. Als Danielle jedoch eines Tages einen Hinweis auf seine Identität findet, macht sie sich zusammen mit Clarke auf den Weg, ihren Vater zu finden. Und damit vielleicht auch sich selbst.
Die Suche nach Identität und den eigenen Wurzeln ist tendenziell ja immer ein eher ernstes Thema. Regisseur und Drehbuchautor Abe Sylvia verpackt das Teeanagerdrama aber in ein eher komisches Äußeres, sodass Dirty Girl teils genauso orientierungslos wirkt wie seine beiden Hauptfiguren. Nun sind Tragikomödien prinzipiell nichts Schlechtes, aber man gewinnt doch den Eindruck, Sylvia war es wichtig, mit seinem Filmdebüt etwas auszusagen, ohne genau zu wissen, was das sein soll. Einige rührende Szenen sind ihm dennoch gelungen, vor allem, wenn Danielle später hinter ihrer Maske einer gleichgültigen, schnippischen Göre hervortritt und wir sie für das erkennen, was sie ist: ein verwirrtes, trauriges Mädchen.
In solchen Momenten hat Juno Temple dann auch die Gelegenheit, am meisten aus ihrer Rolle zu machen. Generell sind die Figuren und die Geschichte nämlich nicht allzu tiefgründig angelegt. Vermutlich richtet sich Dirty Girl dann auch eher an Altersgenossen der beiden Ausreißer, können sie sich doch am besten mit den Sorgen und Nöten der Protagonisten identifizieren. Apropos Alter: Ein wenig unglaubwürdig ist es schon, dass Dwight Yoakam und Mary Steenburgen zusammen mit der 20 Jahre jüngeren Milla Jovovich die Eltern verkörpern. Hinzu kommen noch diverse Szenen, die ebenfalls nicht übermäßig realistisch gestaltet sind, später sogar kitschig werden und dem Film damit eher schaden als nützen. Da wäre es besser gewesen, der Film hätte sich ein bisschen mehr auf sein Thema konzentriert. Wer sich damit aber abfinden kann, findet hier eine sympathisch gestaltete, wenn auch oberflächliche Mischung aus bissiger Komödie, Selbstfindungsdrama und Roadmovie.
Dirty Girl ist seit 15. März auf DVD und Blu-ray erhältlich
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