(„Töte mich“, directed by Emily Atef, 2012)
„Es wird besser sein.“
Was „es“ ist, weiß Adele (Maria Dragus) selbst nicht. Aber das scheint ihr auch nicht wichtig zu sein, Hauptsache, es ist anders als das Hier und Jetzt. Das erste Mal sehen wir das 15-jährige Mädchen, als es am Abgrund steht, den Blick nach unten gerichtet. Warum sie dort steht und was sie in der Tiefe sucht, wir wissen es nicht. Tatsächlich erfahren wir erst eine halbe Stunde später mehr über Adele und ihre Trauer: Ihr älterer Bruder ist vor einiger Zeit bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen. Seither hat auch das Mädchen seine Lebensfreude verloren, verbringt den trostlosen Alltag auf dem Bauernhof der Eltern.
Eben dort taucht eines Tages Timo (Roeland Wiesnekker) auf, der gerade aus einem Gefängnis geflohen ist und Unterschlupf sucht. Adele versteckt den flüchtigen Kriminellen und verspricht ihm sogar, bei seiner Flucht zu helfen. Unter einer Bedingung: Timo soll Adele bei der nächstbesten Gelegenheit den Abhang hinunterstoßen. Denn das war es, was sie eingangs an der Klippe wollte, der Sprung in den Tod. Erlösung. Ihrem traurigen, einsamen Leben ein Ende setzen. Doch alleine schafft sie das nicht. Warum sich also nicht von jemandem helfen lassen, der genau für das Töten eines Menschen verurteilt wurde? Und so machen sich die beiden auf, um in Frankreich gemeinsam ihren jeweiligen Gefängnissen zu entkommen – Timo dem aus Stein, Adele dem in ihrer Seele.
Ein verurteilter Mörder, der sich mit einer verhinderten Selbstmörderin zusammentut – auf einen solchen Einfall muss man erst einmal kommen. Und spannend ist diese Grundkonstellation allemal: Er will leben und tötet dafür, sie will sterben und rettet dafür sein Leben. Dass diese Geschichte nicht unbedingt glaubhaft ist, scheint Regisseurin und Koautorin Emily Atef nicht weiter zu stören. Und den Zuschauer eigenartigerweise auch nicht, denn der dürfte erst einmal genug damit beschäftigt sein, die Hintergründe zu entschlüsseln. Nicht nur Adeles, auch Timos Lebensgeschichte wird nur nach und nach enthüllt.
Die tendenziell rätselhafte Atmosphäre wird durch die spärlich ausgefallenen Dialoge noch weiter verstärkt, bei der vieles unausgesprochen bleibt. Ohnehin sind bis auf die beiden Flüchtlinge nur wenige Menschen unterwegs. Stattdessen vertraut Atef auf die Wirkung der Bilder und die sind tatsächlich sehr schön geworden. Vor allem in der ersten Hälfte dominieren stimmungsvolle Aufnahmen. Und auch das Spiel der beiden Hauptdarsteller – durch die fehlenden Dialoge vor allem auf Gestik und Mimik konzentriert – lässt einen immer spüren, dass hinter der Sprachlosigkeit sehr viel mehr brodelt: Trauer, Wut, Verzweiflung. Besonders Maria Dragus, die auch schon in Das weiße Band mitgespielt hat, hat hier einige eindrucksvolle Szenen, etwa wenn sie um ihren Bruder trauert. Eine actionbetonte Ausreißerstory kann und will Töte mich also nicht sein, vielmehr überzeugt der Film gerade in seinen ruhigen Momenten.
Leider werden aber die im letzten Drittel immer seltener. Episodenhaft treten mehr und mehr Figuren auf, ohne dass sie der Handlung oder den Charakteren sonderlich viel beizutragen hätten. So weiß man als Zuschauer nicht mehr genau, worauf Töte mich überhaupt noch hinauswill. Vielleicht mag das sogar beabsichtigt gewesen sein, denn auch die interessante anfängliche Gegensätzlichkeit verschwimmt wie bei einem Buddy Movie zunehmend. Insofern ist es sogar konsequent, wenn gleichzeitig auch das Ziel verschwindet. Als Zuschauer ist diese Orientierungslosigkeit irritierend und unbefriedigend und letztendlich auch etwas schade, da Atef bis zu dem Punkt einer der ungewöhnlichsten Roadmovies der letzten Zeit gelungen ist.
Töte mich ist seit 27. März auf DVD erhältlich
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