Compliance

Compliance

(„Compliance“ directed by Craig Zobel, 2012)

ComplianceManche Filme sind einfach nicht dafür geschaffen, allen zu gefallen. „Tu mir einen Gefallen und verreiß den Film“, hieß es in meiner Runde, nachdem der Abspann gelaufen war. Aber schon während der 90 vorherigen Minuten waren die wütenden Reaktionen der anderen nicht zu überhören. Reaktionen, die die Macher von Compliance gewohnt sein dürften. Als der Indie-Streifen letztes Jahr beim Sundance Film Festival Premiere feierte, quittierten viele Besucher das Gezeigte mit Beschimpfungen oder verließen vorzeitig den Saal. Aber wie schafft es ein so kleiner Film, so viele Menschen zu verärgern, vor allem bei einem notorisch experimentierfreudigen Filmfest? Ganz einfach: Er erzählt eine Geschichte, die so unangenehm ist, dass sie niemand hören will.

Dabei fängt die recht unspektakulär an. Es ist Freitagabend in einer Filiale von Chick Wich, einer amerikanischen Fast-Food-Kette. Nicht unbedingt der beste Abend, um dort zu sein, zumindest als Angestellter. Freitag ist grundsätzlich der hektischste Tag der Woche und der Speck reicht nicht mehr für die Burger. Außerdem hat jemand vergessen, den Kühlraum richtig zu schließen, Essen im Wert von mehr als 10.000 Dollar ist verdorben. Und dann hat sich auch noch ein Regionalleiter zur Inspektion angekündigt. Entsprechend angespannt sind die Nerven aller Beteiligten an diesem Abend, besonders bei Filialleiterin Sandra (Ann Dowd), die versucht, alles irgendwie noch im Griff zu haben.

Compliance Szene 1

Gerade als sie denkt, es könne nicht mehr schlimmer kommen, dann das: Ein Mann (Pat Healy) ruft an und gibt sich als Officer Daniels aus. Eine der Mitarbeiterinnen, Becky (Dreama Walker), habe einer Kundin Geld geklaut. Sandra mag das erst nicht glauben. Becky? Die ist zwar ein bisschen unzuverlässig … aber klauen? Nein, das würde sie nicht tun. Alles nur ein Missverständnis. Daniels versichert ihr auch, dass vielleicht nichts dran ist an den Beschuldigungen, er aber verpflichtet sei, den Anschuldigungen nachzugehen. Und sie als gute Bürgerin könne ihr dabei helfen. Zunächst einmal müsse Becky im Büro eingeschlossen werden, damit sie nicht abhauen kann. Dann gelte es, das gestohlene Geld zu finden. Ob sie nicht ihre Taschen überprüfen könne? Auf diese Weise würden sie Zeit sparen, bis die Polizei da ist. Natürlich kommt Sandra dieser Aufforderung nach. Warum auch nicht? Der Officer wird ja wissen, was er tut. Anschließend muss Becky sich ausziehen, damit auch ihre Kleidung durchsucht werden kann. Und das ist nur der Anfang, denn Daniels hat noch ganz andere Ideen.

 „Völlig unglaubwürdig! Ich hätte da schon nach fünf Minuten nicht mehr mitgemacht“, empören sich meine Mitschauer recht bald. Und ja: Es ist schwer zu glauben, was da auf dem Bildschirm vor sich geht. Dass die Angestellten nichts durchschauen. Wir als Zuschauer erfahren nämlich bald, dass der sogenannte Officer keiner ist, sich einfach nur einen Spaß erlaubt, während er sich zu Hause gemütlich ein Sandwich macht. Immer abwegiger, demütigender, grausamer werden die Anweisungen des Mannes und doch wird alles widerspruchslos angenommen. So etwas würde in Wirklichkeit nie passieren. Oder doch? Tatsächlich weist uns Compliance im Abspann darauf hin, dass der Film auf einer wahren Geschichte beruht. Mehr noch, gleich 70 derartige Fälle zwischen 1992 und 2004 sind in den USA bekannt, bis der Schuldige geschnappt wurde. Und auch wer sich jetzt damit trösten möchte, „beruht auf einer wahren Geschichte“ könne alles bedeuten: Eine Überwachungskamera einer McDonalds-Filiale hielt die Szenen fest, die in dem Film nachgestellt werden, selbst die wirklich grausigen Details.

Compliance Szene 2

Allzu sehr ins Detail geht Regisseur Craig Zobel hingegen nicht. Er widersteht der Versuchung, den Zuschauer zum Voyeur zu machen, lässt lieber die Geschichte für sich sprechen. Allgemein ist an der Umsetzung des Stoffes nicht viel zu mäkeln. Die Schauspieler machen ihre Arbeit gut, vor allem Ann Dowd nimmt man ab, dass sie unter Druck nur das Richtige machen wollte, aber das genaue Gegenteil erreichte. Schon früh im Film zu offenbaren, dass der Anrufer überhaupt kein Polizist ist, mag für Thrillerfreunde kontraproduktiv sein, doch Zobel ging es offensichtlich nicht um die Aufklärung des Falles. Vielmehr will er auch hier die Geschichte nicht unnötig dramatisieren. Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass sich Compliance im Mittelteil ein wenig zieht. Wir wissen bereits, dass die Angelegenheit ein (schlechter) Witz ist und warten darauf, dass etwas Neues passiert, die Handlung irgendwie vorankommt. Und das kann an den Nerven ziehen.

In der Zwischenzeit bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich zu fragen, wie man selbst reagiert hätte. Wie weit man gegangen wäre. Die Menschen müssen einfach sehr sehr dumm gewesen sein, erklären wir uns das Unvorstellbare. Aber wie konnte das dann gleich 70 Mal geschehen? Ein bisschen erinnert das an das Stanford-Prison-Experiment, welches 2001 – wenn auch sehr dramatisiert – im Film Das Experiment nachgestellt wurde. Auch dort zeigte sich, dass der Mensch unter besonderen Umständen Dinge tut, oft grausame, von denen wir nicht dachten, dass er zu ihnen fähig sei. Und von denen wir überzeugt sind, dass wir sie selbst nie tun würden. Überzeugt sein wollen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Compliance einem so nahe geht und eben viel Wut auslöst: Er führt uns vor Augen, dass es überhaupt keine besonderen Umstände braucht. Manchmal reicht ein einfacher Anruf.

Compliance ist seit 26. April auf DVD und Blu-ray erhältlich



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Compliance ist ein nur schwer verdaulicher Film, der auf Ereignissen beruht, die ebenso wahr wie unglaublich sind. Unaufgeregt, zeitweise vielleicht etwas zu langatmig, erinnert er uns daran, dass Menschen zu Dingen fähig sind, die wir nicht wahrhaben wollen. Sicher kein Film, um Spaß zu haben, aber einer, der es versteht mit minimalen Mitteln dem Zuschauer nahezugehen.
7
von 10