(„Bully“ directed by Lee Hisch, 2011)
Ein kleiner Junge. Er albert vor der Kamera herum, lacht so mitreißend und unbekümmert, als ob auf dieser Welt nie wieder etwas Böses geschehen könne.
Schnitt. Ein Mann in den Vierzigern, deutlich sichtbare Tränen in den Augen. Er ist der Vater des kleinen Jungen. War es.
„Wenn es einen Himmel gibt, dann ist Tyler dort. Ich kann nur daran glauben, dass ich ihn wiedersehen werde. Dafür muss ich leben.“
Von dem unbekümmerten Jungen war zuletzt nicht viel übrig geblieben, nachdem Mitschüler seinen Kopf in ein Schließfach gesteckt hatten, ihm seine Klamotten stahlen, während er in der Schule duschte. Jahrelang hatte er diese Demütigungen über sich ergehen lassen, die Schmerzen ertragen. Bis er es eines Tages nicht mehr konnte und sich im Schrank in seinem Zimmer erhängte.
Tyler ist kein Einzelfall, wie die Dokumentation Harte Schule zeigt. Überall in den USA werden Kinder von ihren Klassenkameraden gemobbt, ohne dass die Schulen eingreifen. Ob aus Machtlosigkeit, Überforderung oder mangelndem Interesse lässt sich manchmal nur schwer sagen. Genauso wenig, warum es manche erwischt und andere nicht. In einigen Fällen wurden Kinder zur Zielscheibe, weil sie anders sind. Die 16-jährige Kelby etwa wird von den meisten gemieden, weil sie offen zu ihrer Homosexualität steht – ein Tabubruch in dem kleinen Ort. Alex wiederum, 12 Jahre alt, wird für seine unvorteilhaft vorstehenden Lippen als „Fischgesicht“ gehänselt. Aber wie konnte Tyler zum Opfer werden? Oder Ja’Meya, die irgendwann aus Verzweiflung eine Waffe mit in den Schulbus nahm? Vielleicht war es einfach nur „Pech“, dass sie in die Schusslinie gerieten und sich nicht dagegen wehren konnten.
Keine Frage, Harte Schule ist harte Kost. Wenn Alex beispielsweise seiner Mutter sagt, dass der Junge, der ihn im Schulbus würgt und mit Bleistiften malträtiert, sein Freund sein muss, denn er habe sonst niemanden, wird dem Zuschauer einiges abverlangt. Das Erschreckende dabei: Der Film kommentiert keine der gezeigten Szenen. Muss er auch nicht, denn die Aussagen der Betroffenen und ihrer Angehörigen sind auch so aufwühlend genug. Den Rest erledigen geschickte Schnitte wie die zu Beginn des Films und der gut dosierte Einsatz von Hintergrundmusik.
Regisseur Lee Hirsch, selbst als Schüler Mobbingopfer gewesen, geht es aber um mehr als eine Anklage gegen ein gescheitertes Schulsystem. Wenn zum Ende des Film die Familien selbst die Initiative ergreifen und in den Schulen Anti-Mobbing-Bewegungen gründen, dann zeigt Hirsch auch seine Hoffnung, dass sich vielleicht in Zukunft etwas ändert. Ob dies tatsächlich der Fall sein wird, kann Harte Schule natürlich nicht beantworten. Aber zumindest eines schafft die Dokumentation: Wer einmal mit Alex und seinen Leidensgenossen unterwegs war, wird in Zukunft sicherlich genauer hinschauen, was da in seinem Umfeld so passiert.
Harte Schule ist seit 15. Februar auf DVD und Blu Ray erhältlich
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