(„À ma soeur!“ 2001, directed by Catherine Breillat)
Catherine Breillats Film Meine Schwester – Ihr erstes Mal möchte von vielen Dingen erzählen: von der schwierigen Beziehung zwischen zwei Schwestern, von sexueller Dominanz, von der demütigenden Beziehung zwischen einem jungen Mädchen und ihrem älteren Liebhaber sowie deren Folgen, von den Spannungen innerhalb einer Familie. Leider schafft Breillats Film – der nicht nur in Frankreich für Aufsehen sorgte – es nicht, eines dieser Themen ausführlich und befriedigend zu behandeln. Trotz interessanter Aspekte, die dem Zuschauer das Potential dieses Stoffes vor Augen führen, bleibt Breillats Film oberflächlich, offensichtlich und prätentiös:
Die 12jährige Anais verbringt mit ihrer drei Jahre älteren Schwester Elena unter Obhut von Mutter und Vater den Sommerurlaub am Meer. Bis zur nächsten Stadt ist es weit und im Ferienhaus gibt es nicht viel, was die beiden Schwestern bei Laune halten kann. Hinzu kommt, dass Elena das Haus nicht ohne ihre jüngere Schwester als lästiges Anhängsel verlassen darf. Bei einem Ausflug in die nächstgelegene Stadt treffen sie auf einen Jura-Studenten aus Rom, der sich unmittelbar von der attraktiven Elena angezogen fühlt. Am reizvollsten ist Breillats Film in diesen intimen Momenten der Zwei- bzw. Dreisamkeit: Es dauert nicht lange, ehe sich Elena und Fernando unter den Blicken der jüngeren, übergewichtigen Schwester in den Armen liegen und ihre Außenwelt ignoriert wird. Breillat lässt es knistern, die Luft ist mit elektrisierender, erotischer Spannung aufgeladen, die die Menschen um sie herum vergessen machen – würde nicht stets zu Anais geschwenkt, die ihre Aufmerksamkeit sowohl ihrem Bananensplit, als auch den beiden Turteltauben zu schenken versucht.
Von diesem Zeitpunkt an geht alles schnell: Fernando besucht die Familie im Ferienhaus, in dem es immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt. Nicht nur die Schwestern verbindet eine offensichtliche Hassliebe, sondern auch die Beziehung zu ihren Eltern ist schwierig und die Stimmung gereizt. Eines Abends lädt Elena ihren neuen Freund zu sich in das Zimmer ein, das sie sich mit Anais teilen muss. Aus dem Abend romantischer Zweisamkeit, an dem Elena Fernando über dessen sexuelle Erfahrungen auszufragen beginnt, wird ein bedrückendes Erlebnis der Demütigung – nicht nur für Anais, die sich nach Liebe und Zuneigung sehnt und dem Zögern und Zaudern sowie dem schlussendlichen Akt ihrer Schwester zusehen muss, sondern primär für Elena, auch wenn sie es in diesem Moment noch nicht wahrhaben möchte. Zunächst nicht bereit, mit ihm zu schlafen, lässt sich die 15jährige von dem Studenten belügen und dominieren, kauft ihm die Versprechen und Beteuerungen gutgläubig ab und muss mit den Konsequenzen leben, die dieser Abend ihres sexuellen Erwachens nach sich zieht…
In den besten Szenen des mit 80 Minuten recht kurzen Films gelinget Breillat mithilfe geschickten filmischen Einstellungen ein kurzes Einfangen bedrückter, düsterer Spannung, in der sich die in der schmerzhaften Pubertät und deprimierenden Einsamkeit gefangenen Mädchen befinden. So blendet Breillat beim sexuellen Akt des jungen Paars auf die bislang ignorierte Anais, die sich unruhig in ihrem Bett hin- und herbewegt und die Hände über das Gesicht hält oder sich leise in den Schlaf zu weinen versucht. Dies sind einfühlsame, bedrückende und schmerzhafte Beobachtungen, die jedoch leider viel zu kurz andauern, um ihr volles Potential ausschöpfen zu können. Dieses Problem durchzieht den kompletten Film: Zu kurz sind die Schilderungen der Beziehungen zwischen den beiden Schwestern um die Entwicklung der beiden Charaktere im Verlauf des Urlaubs ausführlich beschreiben und eindrucksvoll nachvollziehen zu können. Zu kurz kommen die Schilderungen der familiären Spannung, in lediglich kurzen Einstellungen wird die Sehnsucht Anais‘ nach Anerkennung, Liebe und Zweisamkeit eingefangen. Das ist deshalb besonders ärgerlich, weil Breillat auf eindrucksvolle Weise darzulegen vermag, welches Potential allein die ausführliche Beschäftigung mit der Beziehung zwischen zwei Schwestern unter Einfluss von Pubertät und Sexualität geboten hätte: So findet beispielsweise ein fortwährender Rollentausch statt, bedingt durch gegenseitige Abhängigkeit und Abstoßung – ein Rollentausch, an dessen Ende die ironische Feststellung steht, dass Anais, die einsame, pummelige 12Jährige, ihrer sexuell erfahrenen Schwester Elena überlegen ist und sie zur gutherzigen Trösterin wird, die das Ferienabenteuer als einzige mehr oder weniger unbeschadet überleben wird. Unnötige ist das symbolüberfrachtete Finale, das unter den Film einen allzu prätentiösen Schlussstrich zieht.
Meine Schwester – Ihr erstes Mal erscheint am 19. April auf DVD
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