(„Modus Anomali“ directed by Joko Anwar, 2012)
Lebendig begraben zu sein, dürfte eine der schlimmsten Todesarten überhaupt sein. Sich nicht bewegen zu können, nichts sehen zu können – außer dem Tod vor den Augen –, das Wissen, einfach darauf warten zu müssen, dass es irgendwann vorbei ist. Und mit genau dieser Situation beginnt auch Modus Anomali – Gefangen im Wahnsinn. Ein Mann (Rio Dewanto) kommt zu sich, begraben in einem Erdloch, mitten im Wald.
Zwar schafft er es, sich aus den Erdmassen hervorzukämpfen, steht dafür aber vor einem ganz anderen Problem: Er kann sich an nichts erinnern. Wo er ist, was er hier macht, ja, nicht einmal, wer er ist, kann er sagen. Es bleibt dem Gedächtnislosen also nichts anderes übrig, als sich auf die Suche nach Antworten zu diesen Fragen zu machen. Und wenn er schon dabei ist, wäre es nicht schlecht zu wissen, wer dieser Killer ist, der ihn durch den Wald verfolgt.
Billige Horrorstreifen – wenn die indonesische Filmlandschaft überhaupt für etwas bekannt ist, dann dafür. Aber wie sollte es auch anders sein in einem Land, das trotz einer Bevölkerung von 240 Millionen gerade einmal etwa 660 Kinosäle hat? Zum Vergleich: Deutschland hat dreimal so viele Spielstätten, obwohl wir gerade mal auf ein Drittel der Bevölkerungszahl kommen. Entsprechend mäßig sind auch die Aussichten auf eine vernünftige Finanzierung. Zwar sind die Hoffnungen groß, dass sich dies nach dem Überraschungserfolg The Raid ändert, doch bis der größte Inselstaat der Welt wirklich bei den großen Filmnationen mitspielen kann, wird wohl noch eine ganze Weile vergehen.
Nun müssen niedrige Budgets nicht zwangsweise ein Nachteil sein, zwingen sie die Filmemacher dazu, manchmal um die Ecke zu denken und dabei vielleicht etwas ganz Eigenes zu schaffen. Auch Joko Anwar, einer der bekannteren indonesischen Regisseure und Drehbuchautoren, ist sichtlich bemüht, bei seinem neuesten Film Modus Anomali aus der Not eine Tugend zu machen. Das gelingt auch zum Teil, etwa beim Setting. Klar gehören Wälder zu den in der Filmgeschichte am häufigsten verwendeten Schauplätzen. Ob in den zahlreichen Robin Hood-Filmen, bei Rambo oder Blair Witch Project – Kämpfe und Horror gehören zum Dickicht einfach dazu. Doch Anwars Wald ist irgendwie anders, fremder. Zum einen erreicht Anwar das durch seine Soundkulisse: Die metallischen, verzerrten Geräusche, wie man sie eher in Silent Hill vermuten würde, stellen einen eigenartigen aber reizvollen Kontrast zum organischen Wald da.
Eigenartig ist aber auch der Wald an sich. Indem wir fast keine optischen Anhaltspunkte spendiert bekommen, sind wir ebenso orientierungslos in den unendlichen Baumreihen gefangen wie der Held. Wir bewegen uns zwar ständig vorwärts, ohne aber je das Gefühl zu haben, uns von der Stelle zu bewegen. Auch die Entscheidung, einen Großteil des Films während der Nacht spielen zu lassen, unterstützt die klaustrophobische Wirkung. Fernsicht? Fehlanzeige. Überhaupt legt Anwar großen Wert darauf, uns nie zu viel sehen zu lassen. Fast im Stil einer Mockumentary gehalten, dackelt die Kamera dem Protagonisten brav hinterher und verhält sich so wie ein Mensch. Das ist zwar interessant, an manchen Stellen aber auch albern. Außerdem wird das Prinzip nicht konsequent durchgezogen, etwa wenn wir auf einmal andere Figuren begleiten, die ebenfalls auf der Flucht vor dem Killer sind.
Der Killer stellt sich dann leider auch als der größte Schwachpunkt heraus. Wir wissen zwar, dass einer da draußen rumstreicht, aber er hält sich so sehr im Hintergrund, dass wir zwischendurch immer wieder vergessen, dass er überhaupt da ist. Dadurch fehlt das Gefühl der Bedrohung und schlicht die Spannung, die ein Thriller nun mal bräuchte. Hinzu kommen andere vermeidbare Fehler, die Modus Anomali unnötig nach unten ziehen, darunter zwei unglaublich schlecht gemachte Kotzszenen und diverse Ungereimtheiten. Einiges ist durch das niedrige Budget zu erklären, anderes nicht.
Wie schafft es der Mann zum Beispiel, Tage unterwegs zu sein, ohne je Durst und Hunger zu bekommen, während die anderen genau darunter leiden? Warum versucht er nicht wirklich, aus dem Wald zu entkommen? Das ist ärgerlich, weil der Film durchaus Potenzial gehabt hätte, etwas ganz Besonderes zu sein, allein schon, weil die Handlung später eine völlig andere Richtung einschlägt, als man zunächst glaubt, und vieles erst im Nachhinein einen Sinn ergibt. So aber reicht es nur zu gehobenem Durchschnitt. Immerhin: Wer einmal einen etwas anderen Thriller sehen will, findet hier interessante Ansätze, die einiges für die Zukunft versprechen.
Modus Anomali ist seit 5. April auf DVD und Blu-ray erhältlich
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