(„Beasts of the Southern Wild“ directed by Benh Zeitlin, 2012)
Preisfrage für alle Cineasten: Welcher Film gewann als erster den Großen Preis der Jury beim amerikanischen Indie-Filmfest Sundance, die Auszeichnung als bestes Debütwerk in Cannes und dem Fantasy Filmfest und gleichzeitig den Oscar als bester Film? Keine Ahnung? Macht nichts, es gibt auch keinen. Fast wäre es aber dieses Jahr so weit gewesen. Sundance, Cannes und diverse andere Filmfeste hatte Beasts of the Southern Wild schon erobert, nur für den Oscar hat es nicht ganz gereicht. Nominiert war er, sogar für diverse Kategorien, war am Ende aber wie der ähnlich krasse Außenseiter Liebe chancenlos gegen die großen Hollywoodproduktion. Das war zwar zu erwarten, aber doch schade, denn bei dem Spielfilmdebüt von Benh Zeitlin handelt es sich um eins der schönsten Märchen, die es seit langem ins Kino geschafft haben.
„Im Universum hängt alles mit allem zusammen. Geht etwas kaputt, selbst das allerkleinste Teil, geht auch das ganze Universum kaputt.“
Und im Leben der kleinen naturverbundenen Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) ist so einiges kaputt: Die Mutter ist vor Jahren schon verschwunden, der Vater Wink (Dwight Henry) liegt im Sterben und ihre Heimat Bathtub in den Sümpfen Louisianas wird von Müll überschwemmt. Doch die Bewohner von Bathtub gehören nicht zu den Menschen, die leicht verzweifeln. Sie lachen, trinken, feiern und wenn mal wieder das Bullauge einer Waschmaschine angeschwemmt wird, verwenden sie es einfach als Fenster für ihre Hütten. Sämtliche „Gebäude“, ja das ganze Leben der Einheimischen scheint aus dem zusammengezimmert zu sein, was ihnen die Zivilisation übrig gelassen hat. Wink beispielsweise hat ein schrottreifes Auto mit Hilfe von weggeworfenen Mülltonnen zu einem Boot umfunktioniert, mit dem er über die Sümpfe schippert.
Auf diese Weise haben sich die Einheimischen ihre eigene kleine Welt geschaffen, fernab der Zivilisation. Was in jener Welt passiert, eine Welt der Deiche und Raffinerien, ist den Bewohnern von Bathtub so fremd, als wären es Erzählungen aus Märchen. Fisch in Plastikverpackungen? Wozu? Alles, was sie selbst an Nahrung brauchen, finden die Aussteiger in der Natur: Doch eben diese wird nun bedroht. Ein gewaltiger Sturm zieht auf, der verheerende Folgen für die Bewohner und die Tierwelt von Bathtub hat. Und als wäre das nicht genug, nähert sich vom Südpol her die nächste Gefahr: Durch die Klimaerwärmung kamen dort riesige Urzeitviecher frei, die zuvor im ewigen Eis eingefroren waren. Und genau diese Bestien kämpfen sich nun durch die Landschaft und kommen unaufhaltsam auf Hushpuppy und die anderen zu.
Eine unberührte Natur, die vom Zivilisationsmüll erstickt wird, und gefährliche Monster, die durch den Klimawandel freikommen – die Botschaft von Beasts of the Southern Wild ist ziemlich offensichtlich: „Hört auf, unsere Erde zu versauen!“ Wenn die Hauptfigur dann auch noch ein kleines Mädchen ist, das bald zur Vollwaisen wird, lässt das Übles befürchten: erhobener Zeigefinger, schwülstige Musik, geschönte Bilder, kurz: Kitsch. Doch der Film hat nichts von alledem. Märchenhaft, ja, das ist er an allen Ecken und Ecken, etwa wenn Hushpuppy mit Tieren spricht oder die tiefgefrorenen Urzeitmonster wie überdimensionale Wildschweine aussehen. Aber vieles ist gleichzeitig düster gehalten, hässlich, sogar verrottet und natürlich wahnsinnig traurig. Und doch auch fröhlich, verträumt, hoffnungsvoll – Beasts verdammt nicht die Zivilisation, er zelebriert das Leben, auch dann wenn es inmitten eines Müllberges stattfindet.
Dass der Film trotz der unschönen Bilder und Themen nicht in wehleidiger Tristesse ertrinkt, liegt natürlich auch an ihr: Quvenzhané Wallis. Wenn sie durch die heruntergekommenen Hütten wirbelt, in ihrem Kartonversteck Bilder von lachenden Menschen malt oder Selbstgespräche mit der verschwundenen Mutter führt, muss man schon ein verdammt großer Zyniker sein, um völlig unberührt zu bleiben. Fast hätte auch sie eine Sensation erreicht und den Oscar für die beste Hauptdarstellerin erhalten. Immerhin den Rekord als Jüngste, die je für diese Kategorie nominiert wurde, dürfte der 9-Jährigen so bald keiner nehmen. Umso beeindruckender, weil sie ebenso wie alle anderen Darsteller noch nie zuvor vor der Kamera stand. Ausschließlich auf Laienschauspieler zu setzen, ist immer ein großes Risiko, meist übertreiben sie die Rollen oder bleiben ausdruckslos. Bei Beasts of the Southern Wild ist das Risiko aber voll aufgegangen. Wenn Dwight Henry in einem Interview erklärt, vielleicht auch in Zukunft schauspielern, ansonsten sich aber lieber auf seine Bäckerei konzentrieren zu wollen, wundert es nicht, dass er auch als Hushpuppys Vater rührend uneitel und authentisch wirkt.
Das gleiche gilt auch für die Inszenierung. Der Einsatz von Handkameras wird inzwischen ja quasi inflationär gebraucht, oft mit eher lächerlichen Ergebnissen. Hier passt es ausnahmsweise thematisch. Mehr noch: Zusammen mit ungewohnten Perspektiven schafft es die Kamera wunderbar, das Leben aus dem Blickwinkel eines staunenden Kindes zu zeigen, das seinen Weg in einer verwirrenden Welt erst noch finden muss. Dass der Low-Budget-Film bei der Oscarverleihung trotz vier Nominierungen komplett leer ausging, ist da mehr als schade. Vielleicht hätten dann mehr Menschen den Weg in diese ganz eigene Märchenwelt gefunden; verdient hätte er es. Aber auch so darf man nach Beasts of the Southern Wild mehr als gespannt sein, was die Zukunft für Benh Zeitlin und Quvenzhané Wallis bereithält.
Beasts of the Southern Wild ist seit 7. Mai auf DVD und Blu-ray erhältlich
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