(„Gnade“ directed by Matthias Glasner, 2012)
Schnee, Schnee und nochmals Schnee, dazu ein Tageslicht, das nie richtig wach wurde: Der letzte Winter dürfte bei vielen aufs Gemüt gedrückt haben. Dass es noch viel schlimmer kommen kann, zeigt ein Blick auf unsere nordischen Nachbarn. Wer dort jenseits des Polarkreises lebt, sieht zwei Monate lang keinen Sonnenaufgang mehr. Die kleine Stadt Hammerfest, am nördlichsten Zipfel Norwegens gelegen, ist ein solcher Ort der nicht endlichen wollenden Nacht. Die Bewohner mögen sich mit dem mangelnden Licht arrangiert haben, für Neuankömmlinge ist das Leben in der Dunkelheit jedoch zunächst recht schwierig, Neuankömmlinge wie Niels (Jürgen Vogel) und Maria (Birgit Minichmayr). Vor allem der deutsche Familienvater tut sich schwer mit seinem Leben als Expat, ist auch aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht in den Alltag von Hammerfest integriert und stürzt sich in eine Affäre mit einer Kollegin.
Maria hingegen kann sich über fehlende soziale Kontakte nicht beklagen, hat dafür aber ein anderes Problem: Das Hospiz, in dem sie arbeitet, ist chronisch unterbesetzt. Unbeliebte Wochenend- und Nachtschichten sind für sie quasi an der Tagesordnung. Wenn es dumm läuft, muss sie sogar mehrfach ran. Als Maria eine dieser Doppelschichten übernimmt, hat dies für mehrere Familien fatale Folgen: Abgelenkt vom Polarlicht fährt sie in der Dunkelheit etwas an, kann aber nicht erkennen, was es war. Auch als Niels die Strecke ein zweites Mal abfährt, findet nicht, was den dumpfen Stoß verursacht hat. Erst später bewahrheiten sich ihre schlimmsten Befürchtungen: Es war ein 16-jähriges Mädchen, das nach einer Party betrunken nach Hause lief. Unentdeckt von Maria und Niels, schafft sie es noch, sich zum Straßenrand zu schleppen, wo sie ihren Verletzungen erliegt. Hilfe gab es keine, aber eben auch keine Zeugen. Und so entschließt sich das Ehepaar, seine Beteiligung am Unfall zu verheimlichen und das Geschehene allein zu verarbeiten.
Ein Kind zu überfahren und mit den Folgen leben zu müssen, das ist natürlich harter Stoff. Doch das war Regisseur Matthias Glasner und dem Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson ganz offensichtlich nicht genug: Sie verlagerten die Handlung in die eisigen, meist dunklen Weiten Norwegens, Maria kümmert sich beruflich um sterbende Menschen, auch ein Ehebruch und Mobbing an der Schule dürfen nicht fehlen – Gnade nutzt wirklich jede Gelegenheit, um das ohnehin schon schwere Thema noch weiter zu belasten. Damit tut sich der Film aber nicht unbedingt einen Gefallen. Gerade die zwei Nebenhandlungen, die sich ebenfalls um Schuld und Vergebung drehen – die Affäre von Niels und die Geschichte um Sohn Markus (Henry Stange) –, wirken in ihrer wiederholten Thematik ein bisschen dick aufgetragen. Und glaubwürdig sind die Auflösungen dieser Konflikte auch nicht immer. Eine wirkliche Bereicherung sind die Nebenstränge damit nicht, vielmehr ziehen sie den Film unnötig in die Länge.
Deutlich gelungener ist da schon die Optik. Nicht nur dass die Schneelandschaften ein tolles Bildmaterial abgeben, sie spiegeln auch gut wieder, wie die einzelnen Figuren bei ihren Auseinandersetzungen mit ihrer Schuld auf sich selbst gestellt sind. In der Leere um sie herum werden sie keine Antworten finden, die gibt es nur in ihnen selbst. Und gerade davor scheuen sie sich. Sympathisch macht sie das nicht unbedingt, menschlich aber schon – was vor allem ein Verdienst der beiden Hauptdarsteller ist. Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr schaffen es, die beiden Protagonisten gut greifbar zu machen und auch ihre Selbstlügen wirksam herauszuarbeiten. Dadurch gewinnt die einfache Handlung deutlich an Intensität. Was bleibt, ist ein Film, der trotz seines Hangs zum Pathos erstaunlich gut anzusehen ist.
Gnade ist seit 26. April auf DVD und Blu-ray erhältlich
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