(„Paradies: Hoffnung“ directed by Ulrich Seidl, 2012)
Rund zwei Drittel aller deutschen Männer sind betroffen, bei Frauen sind es immer noch mehr als 50 Prozent – dass immer mehr Menschen hierzulande übergewichtig sind, ist nicht gerade ein Geheimnis. Und die Gründe dafür sind es ebenso wenig: zu wenig Bewegung, zu viel ungesundes Essen. An beiden Fronten soll im Diätcamp gekämpft werden, in dem die 13-jährige Melanie (Melanie Lenz) zum Abspecken abgegeben wird, während ihre Mutter in Kenia unterwegs ist. Und kämpfen kann hier fast wörtlich genommen werden: Die Disziplin ist hoch, der Ton ist rau, fast so, als wäre das Camp ein Ausbildungslager fürs Militär.
Immerhin ist Melanie nicht allein, teilt sich vielmehr das Schicksal mit rund zwei Dutzend Leidensgenossen und -genossinnen, die alle ein bis zwei Kilo zu viel auf dem Leib haben. In manchen Fällen vielleicht auch zwanzig. Auf jeden Fall genug, um aus den Jugendlichen eine eingeschworene Gemeinschaft zu machen, die zusammen durch dick und dicker gehen. Und das bedeutet nächtliche Raubzüge in der Küche, unerlaubte Besuche der Dorfdisco und natürlich ein reger Austausch, was die ersten Erfahrungen mit Liebe und Sexualität angeht. Vor allem Verena (Verena Lehbauer) steht ihrer neuen Busenfreundin mit Rat und Tat zur Seite. Davon kann die auch eine ganze Menge gebrauchen, als sie sich in den Arzt des Camps (Joseph Lorenz) verliebt.
Erst Liebe, dann Glaube und nun Hoffnung – mit seinem Beitrag über dickliche Jugendliche schließt Ulrich Seidl seine Paradies-Trilogie ab. Und wie immer stellt der österreichische Regisseur seinen ebenso scharfen wie unbarmherzigen Blick auf den Menschen unter Beweis. Ein flüchtiger Blick, etwa beim Zappen durchs Fernsehprogramm, und man könnte meinen, sich einen Dokumentarfilm anzuschauen. Ein Eindruck, der nicht zufällig entsteht, denn Seidl erhielt für seine Dokumentationen zahlreiche Preise, und auch bei seinen Spielfilmen lässt er seine Erfahrungen und erprobten Techniken gerne einfließen. Die meisten Figuren werden zudem von Laiendarstellern übernommen. Das Ungeschönte soll in seinen Filmen gezeigt, das, was man sonst nicht gerne sieht.
Das Ergebnis fällt hier aber etwas zwiespältig aus. Sicher, authentisch ist Paradies: Hoffnung in fast allen Belangen. Besonders in den Szenen, wenn die Kinder unter sich sind, herumalbern oder eigene Grenzen austesten, hat man das Gefühl, einer von ihnen zu sein – auch dank der absolut natürlich wirkenden Jungdarsteller. Nur, was der Film eigentlich aussagen will, wird nicht so richtig klar. Vielleicht wie schnell eine kindliche Schwärmerei schief gehen kann. Den befürchteten letzten Schritt zum Kindesmissbrauch zwischen der jungen Melanie und dem 40 Jahre älteren Kinderarzt geht der Film jedoch nicht. An einigen Stellen kommt Seidl dem schon sehr nahe, entscheidet sich aber bewusst für das „gute“ Ende. Und die Hoffnung.Versöhnlich sollte der Abschluss der Trilogie sein und das ist er auch geworden. Passend zum Titel und dem Alter der Protagonisten herrscht hier eine unschuldige, harmlose, fast schon heitere Atmosphäre. Gerade, wenn die Erwachsenen ihre Autorität auszuspielen versuchen, wirken sie so betont lächerlich, dass man an mehreren Stellen fast zwangsläufig lachen muss. Das ist gleichzeitig gut gemacht, nett anzusehen und sympathisch, aber eben auch beliebig. Ein überzeugender Blick auf den Alltag und das Lebensgefühl einer Gruppe von Jugendlichen, von dem aber – zumindest für einen Film von Seidl – am Ende erstaunlich wenig zurück bleibt.
Paradies: Hoffnung läuft ab 16. Mai im Kino
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