(„Wu Xia“ directed by Peter Chan, 2011)
Es gibt Filme, da meint man schon beim ersten Blick zu wissen, worauf es hinauslaufen wird. Dragon ist so ein Fall. Wenn Donnie Yen, bekannt aus den Ip-Man-Filmen, die Hauptrolle übernimmt, kann das dann noch überhaupt etwas anderes als Martial Arts werden? Zweites Indiz: der Titel. Schon der englische weckt sicher nicht unbewusste Assoziationen an Tiger & Dragon, den wohl berühmtesten der späteren Martial-Arts-Filme. Noch expliziter wird es beim Originaltitel Wu Xia. Damit werden Kampfkunstfilme vor historischen Kulissen mit stark fantastischem Einschlag bezeichnet. Und doch hat Dragon – Darsteller hin, Titel her – nur wenig mit A Chinese Ghost Story oder auch Hero gemeinsam.
Dabei fängt auch hier alles mit einem Kampf an. Der unauffällige Papiermacher Liu Jinxi (Yen) will gerade in einem Dorfladen einkaufen, als der Besitzer von zwei äußerst rabiaten Banditen bedrängt wird. Liu Jinxi eilt dem Besitzer zu Hilfe und schafft es tatsächlich, die beiden zu überwältigen. Mehr noch, er tötet sie sogar. Beeindruckend, wenn man bedenkt, dass es sich bei den beiden um gesuchte Schwerverbrecher handelt. Vielleicht sogar zu beeindruckend. Wieso kann ein einfacher Dorfbewohner so gut kämpfen? Auch Xu Baijiu (Takeshi Kaneshiro), der in dem Fall ermittelt, ist misstrauisch, wittert, dass da mehr hinter dem Ganzen steckt. Als er deshalb weitere Nachforschungen anstellt, bestätigen sich seine Vermutungen. Liu Jinxi mag zwar jetzt ein aufrechtes und friedliches Leben mit seiner Frau Ayu (Tang Wei) und den beiden Kindern führen. Aber die Vergangenheit war weit weniger aufrecht und friedlich. Liu Jinxi – davon ist Xu Baijiu überzeugt – hängt irgendwie mit einem Verbrechen zusammen, das vor zehn Jahren stattgefunden hat, einem äußerst blutigen Verbrechen.
Diese Ermittlungen, das Stöbern in der Vergangenheit, nimmt mindestens ein Drittel des Films ein. Wenn Xu Baijiu in bester Sherlock-Holmes-Manier Dorfbewohner befragt, Spuren untersucht und Abläufe kombiniert, wird aus Dragon ein waschechter Krimi. Wie der englische Meisterdetektiv verfügt sein chinesischer Kollege zudem über ausgeprägte medizinische Kenntnisse, erkennt schnell, wie die Verbrecher zu Tode kamen. Und eben, dass es kein Zufall war. Diese Elemente in einem vermeintlichen Martial-Arts-Film vorzufinden, ist überraschend, aber durchaus interessant und gut gemacht, zeitweise sogar richtig spannend. Wer Krimis westlicher Machart schätzt, dürfte auch hier fleißig grübeln und miträtseln, was die Wahrheit ist.
„Niemand hat einen freien Willen. Wenn jemand sündigt, teilen wir diese Sünde. Wir sind alle Komplizen.“
Krimifans und Leute, die noch immer auf einen „normalen“ Martial-Arts-Film hoffen, werden vermutlich aber spätestens hier das Handtuch werfen und sich an der ruhigen Erzählweise stören. Statt spannender Detektivarbeit oder fesselnder Kämpfe beginnt nämlich ein eher dramatischer Teil, der sich ganz auf die tragischen Hintergrundgeschichten konzentriert und grundsätzliche Fragen zu Schuld und Sühne stellt. Auch dieser plötzliche Genre- und Tempowechsel hat seinen Reiz, lediglich die eher oberflächlichen Figuren und Yens immer noch überschaubare schauspielerische Fähigkeiten verderben einem ein wenig das Vergnügen.
Dessen Stärken – das unbestreitbare Kampftalent – kommen dafür vor allem im späteren Verlauf zur Geltung, wenn das Tempo wieder anzieht und einige gut choreographierte Kämpfe für Spannung sorgen. Besonders die Auseinandersetzungen mit Action-Veteranin Kara Hui sind sehr gut in Szene gesetzt. Überhaupt bietet Dragon einiges fürs Auge, von den historischen Kulissen – der Film spielt 1917 – über schöne Landschaftsbilder bis zu kunstvollen Detailaufnahmen. Sehenswert ist der chinesische Film insgesamt also sehr wohl, zumindest wenn man nicht auf einen herkömmlichen Martial-Arts-Streifen besteht. Zuschauer, die genau das tun, sollten sich daher lieber an die Klassiker oder konventionellere Vertreter der letzten Zeit wie Blood Letter oder Flying Swords of Dragon Gate halten. Offenere Fans dürfen dem neuesten Film von Regisseur Peter Chan (Warlords) aber eine Chance geben.
Dragon ist seit 31. Mai auf DVD und Blu-ray erhältlich
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