(„Sinister“ directedy by Scott Derrickson, 2012)
Als vor ziemlich genau 14 Jahren The Blair Witch Project in die amerikanischen Kinos kam, hätte wohl keiner ahnen können, wie sehr er in Folge das Horrorgenre umkrempeln würde. Nicht nur dass der Indie-Streifen im Dokumentarstil zu einem Blockbuster wurde, bis heute greifen Horrorfilme das Prinzip des „Found Footage“, alte Aufnahmen von vergangenen Morden oder übersinnlichen Ereignissen, auf – nicht zuletzt dank des großen Erfolges der Paranormal Activity-Reihe.
Zunächst sieht es danach aus, als wäre auch Sinister nur ein weiterer Vertreter des nicht mehr ganz neuen Erfolgsrezeptes. In diesem Fall ist es Ellison Oswalt (Ethan Hawke), der auf dem Dachboden seines neuen Hauses auf alte Filmaufnahmen stößt. Ziemlich grausige Filmaufnahmen: Vier Menschen, die an einem Baum erhängt werden. Und nicht an irgendeinem Baum, sondern dem im Garten der Oswalts. Für so ziemlich jeden wäre das ein Argument, schnell die Sachen zu packen und wieder abzureisen. Aber Ellison ist nicht jeder. Genau genommen ist es sogar dieser Mordfall, der ihn dazu veranlasst hat, mit seiner Frau Tracy (Juliet Rylance) und den beiden Kindern dorthin zu ziehen. Als Autor von Kriminalbüchern, die auf echten, nie aufgeklärten Fällen basieren, war er einst zu Ruhm gekommen und sucht seither zunehmend verzweifelt nach einem neuen Kracher.
Genau der scheint in dem unscheinbaren Karton auf ihn zu warten. Neben dem vorzeitigen Ableben der Vorbesitzer wurden noch eine Reihe weiterer Mordfälle auf alten Super-8-Filmen festgehalten. Ungeklärte Verbrechen, die sich über mehrere Jahrzehnte hinwegziehen, ein Serienmord, der nie als solcher erkannt wurde – ein Traum für jeden Krimiautoren! Aber ein Alptraum für den Rest der Familie, im Fall des Sohnes ist das sogar wörtlich zu nehmen. Dass da etwas nicht stimmt, etwas Düsteres in seinem Haus vor sich geht, ist auch Ellison klar, will aber des Ruhmes wegen nicht aufgeben. Stattdessen sucht er die Hilfe eines Deputys (James Ransone) und des lokalen Professors Jonas (Vincent D’Onofrio), einem Experten für das Okkulte. Hilfreiche Hinweise können die beiden liefern, aber nicht die Antworten, die vielleicht am dringendsten wären: Wer hat diese Filme gedreht? Und wie kommen sie auf den Dachboden?
Ein bisschen „Found Footage“, etwas The Ring, dazu noch Insidious – und fertig ist der Horrorcocktail. Einen Preis für das originellste Drehbuch wird Sinister damit eher nicht gewinnen, aber ganz ehrlich: Horrorfilme schaut man sich in erster Linie für die Atmosphäre an, seltener für die ausgeklügelte Handlung. Und da kann der neueste Film von Regisseur und Ko-Autor Scott Derrickson (Der Exorzismus von Emily Rose) in allen Bereichen punkten. Das fängt schon mit der ersten Einstellung an, der Aufnahme der vier gehängten Familienmitglieder. Mit den krissligen, leicht stotternden Bildern wird hier perfekt das Feeling eingefangen, das alte Familienvideos aus dem Keller vermitteln. Dieser verstörende Auftakt gibt die Grundstimmung vor, die Sinister auch wirklich bis zum Ende durchhält.
Höhe- und Mittelpunkt sind dabei die alten Filmrollen. Mit den krissligen, leicht stotternden Bildern wird hier perfekt das Feeling alter Familienvideos aus dem Keller vermittelt, nur dass statt Geburtstagen, Weihnachten oder Urlauben die Auslöschung einer Familie gezeigt wird. Es ist genau dieser Kontrast zwischen heimeliger Familienidylle und grausamen Morden, der eine unglaubliche Wirkung erzielt – ein Musterbeispiel dafür, dass eine gute Inszenierung bei Horrorfilmen wichtiger sein kann als ein großes Budget.
Dabei wird der Low-Budget-Streifen beim Gezeigten selten explizit, oft wird im entscheidenden Moment abgebrochen, der Rest der Vorstellung des Zuschauers überlassen. Eine Besonderheit bei der Umsetzung ist die Fokussierung auf Ellison. Wir sehen den Film zwar nicht à la Alexandre Ajas Maniac durch dessen Augen, bleiben aber immer eng an ihm dran. Er ist ständig zu sehen und wenn er den Blick von den Videos abwendet, weil er den Horror nicht ertragen kann, bekommen auch wir das Geschehen nicht zu sehen. Hier zeigt es sich von Vorteil, dass Derrickson nicht auf einen wenig talentierten B-Movie-Hauptdarsteller zurückgreifen musste. Ethan Hawke gibt seiner Rolle als etwas zu selbstbezogenen und erfolgshungrigen Autor die notwendige Intensität und Glaubwürdigkeit.
Dass die Atmosphäre so dicht ausgefallen ist, hängt aber auch mit der gelungenen Musik zusammen. Ständig wimmert oder brummt etwas im Hintergrund, werden fremdländisch klingende Gesänge abgespielt, wie man sie in okkulten Ritualen vermuten könnte. Auf diese Weise herrscht den ganzen Film über eine unheimliche, unheilverkündende Stimmung. Auf richtige Schockeffekte oder gar Action muss man hingegen größtenteils verzichten, Sinister steht hier eher in der Tradition altehrwürdiger Gruselfilme. Der Bezug aufs Übersinnliche bedeutet aber auch, dass man über die Geschichte nicht allzu viel nachdenken sollte: Plausibel ist hier nur wenig, erklärt wird auch nicht alles. Wer aber darüber hinwegsehen kann, was man bei dem Genre ohnehin meistens muss, findet hier einen Vertreter, der für mich zu den Horrorhighlights der letzten Jahre zählt.
Sinister erscheint am 11. Juli auf DVD und Blu-ray
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