(„Staub auf unseren Herzen“ directed by Hanna Doose, 2012)
Es soll ja Leute geben, denen im Leben so ziemlich alles gelingt. Die mit dreißig schon zwei Doktortitel haben, ein Unternehmen gegründet, verheiratet mit drei Kindern und auf der ganzen Welt zu Hause sind. Und dann gibt es noch Kathi (Stephanie Stremler). Die ist auch dreißig. Und arbeitslos, sofern man ihre vergeblichen Versuche, als reichlich talentfreie Schauspielerin Fuß zu fassen, nicht zählen mag. Ein Kind hat sie zwar, aber keinen Mann dazu. Viel gesehen von der Welt hat sie auch nicht, sie wohnt noch immer in Berlin und steht zudem kurz davor, wieder mit ihrer Mutter Chris (Susanne Lothar) zusammenzuziehen. Und als wäre das nicht genug, steht eines Tages plötzlich ihr Vater Wolfgang (Michael Kind) vor der Tür, der die Familie vor Jahren im Stich gelassen hat.
Viel mehr Handlung hat Staub auf unseren Herzen nicht, braucht es aber auch nicht, denn im Mittelpunkt stehen vor allem die beiden Frauen und ihre verkorkste Beziehung zueinander. „Staub ist der einzige Dreck, der uns was anhaben kann“ singt Kathi in einer der gelungensten Szenen, als sie sich das erste Mal mit einem Puppenspieler trifft. Zu hoch, schief, unmelodisch – nein, schön ist der Gesang nicht. Dafür aber authentisch. Statt hymnischem Powerpop, wie er inzwischen fast jede deutsche Komödie heimsucht, erleben wir hier die ungeschminkte Seite des Lebens. Und die ist nun mal nicht immer schön anzusehen.
Doch auch der Titel des Liedes ist Programm: Unter dem Staub der Jahre hat sich unbemerkt – und unausgesprochen – so viel angesammelt, dass Mutter und Tochter daran ersticken. Bis heute hat Chris nicht überwunden, dass Wolfgang sie seinerzeit betrogen und verlassen hat. Als Therapeutin ist sie es gewohnt, andere sprechen zu lassen, ihnen Fragen zu stellen. Doch eigene Antworten? Die verweigert sie, selbst wenn sie direkt darauf angesprochen wird. Dafür nutzt sie ihre beruflichen Erfahrungen, um andere zu manipulieren und zu kontrollieren. Gerade in ihrer Tochter hat sie dabei ein bewährtes wie williges Opfer gefunden, das immer und immer wieder den Frust und Schmerz in sich hineinfrisst, ohne dagegen anzukämpfen. Die sich nicht einmal ihre eigene Kleidung aussuchen darf.
Die große Kunst von Hanna Dooses Abschlussfilm an der Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ist es, Charaktere zu entwerfen, die zwar ein klein wenig überspitzt aber in ihrer Gesamtheit doch direkt aus dem Leben gegriffen sind. Das erreichte sie auch, indem sie ihren Schauspielern keine vorgefertigten Dialoge an die Hand gab. Stattdessen sollten sie ihre Texte improvisieren. Natürlich entstehen auf diese Weise keine Zeilen, die noch in 50 Jahren als große Zitate vorzeigbar sind. Aber es sind Dialoge, die in ihrer unspektakulären, fast belanglosen Art eben auch glaubhaft sind.
Das Ganze würde ohne die geeigneten Darsteller sicher nicht funktionieren, doch zum Glück konnte Doose gerade die beiden Hauptrollen mit guten Schauspielerinnen besetzen. Stephanie Stremler hat die sicher etwas undankbare Aufgabe, eine unbegabte Möchtegernkollegin mimen zu müssen, unsäglich schlechte Castingszenen inklusive. Sie macht ihre Sache aber ebenso gut wie die leider letztes Jahr verstorbene Susanne Lothar, die nicht viel Worte oder gesten braucht, um andere zu dominieren. Bemerkenswert dabei ist auch die Entscheidung, die zwei Hauptfiguren nicht als Sympathieträger zu entwerfen und so die Zuschauer an sich zu binden. Kathi geht einem mit ihrer phlegmatischen, leicht weinerlichen Art mehr als einmal auf die Nerven, und Chris als egozentrische Übermutter verspielt eigentlich schon in der Anfangssequenz die Chance, als liebenswerte Person wahrgenommen zu werden.
Trotz der fehlenden Sympathiewerte bleibt man aber doch dabei, alleine, um zu sehen, ob sich die Konflikte irgendwann auflösen. Doch darum geht es in Staub auf unseren Herzen überhaupt nicht. Wenn überhaupt sehen wir kleine Schritte, das große Drama bleibt größtenteils aus. Das ist in seiner Konsequenz lobenswert, macht den Film aber natürlich potenziell schwierig, vielleicht auch langweilig. In erster Linie richtet er sich daher an Zuschauer, die sehr ruhige und unaufgeregte Filme mögen, in denen Charaktere und weniger eine Handlung im Mittelpunkt steht. Wer sich selbst dazu zählt, wird hier mit klugen und lebensechten Beobachtungen belohnt, so als würde man durch ein Kuckloch ins Leben einer nicht mehr funktionierenden Familie schauen. Und auf den Schmerz und die Sprachlosigkeit, die unter dem Staub begraben sind.
Staub auf unseren Herzen erscheint am 19. Juli auf DVD
(Anzeige)