(„$9.99“, directed by Tatia Rosenthal, 2008)
„Rufen Sie jetzt an und erfahren Sie exklusiv von Madame Zelda, was die Zukunft für Sie bereithält!“
Wann auch immer man sich in den Tiefen des Mitternachtsfernsehens verliert, ist die Gefahr groß, ihnen über den Weg zu laufen: Nepper, Schlepper, Bauernfänger. Mehr oder weniger gewiefte Menschen, die ihren oftmals traurigen Mitbürgern das verkaufen, wonach sie sich am meisten sehnen. Träume, Hoffnung, Sinn, Halt, Trost – aus welchen Gründen auch immer sie dort anrufen, die Karten wissen Rat. Vielleicht auch die Sterne. Im Zweifelsfall tut’s aber auch der Laptop.
Nein, beim Fernsehen hat Dave nicht angerufen, aber auch er gehört zu denen, die ständig auf der Suche nach Antworten sind – oder besser: der Antwort. Und die findet der arbeitslose Endzwanziger eines Tages zufällig in seinem Briefkasten. Ein Verlagsflyer wirbt dort mit einer Reihe von Selbsthilfe-Ratgebern für $9.99 das Stück, darunter auch einen mit dem vielversprechenden Titel „Der Sinn des Lebens“. Wer kann dazu schon Nein sagen?
Doch Dave ist nicht der einzige Bewohner des Apartmenthauses in Sydney, der sich nach Halt sehnt. Sein Bruder Lenny zum Beispiel wäre bereit, für seine neue Traumfrau alles zu machen, um weicher zu werden. Wirklich alles. Der alte Albert hat seine schon lange verloren, die sozialen Kontakte des Witwers beschränken sich auf eine junge Mitarbeiterin eines Call Centers, die immer wieder für Meinungsumfragen bei ihm anruft. Bis Albert auf einen kettenrauchenden, sarkastischen Engel trifft und sich mit ihm anfreundet. Freunde hat Ron hingegen genug, nur dass diese nicht ganz real sind: Seitdem ihn seine Freundin verlassen hat, spricht er mit drei imaginären Däumlingen, die dem Alkohol und Drogen ebenso wenig abgeneigt sind wie er selbst.
Wem sich das zusammenhanglos anhört, liegt nicht ganz falsch. Tatsächlich basieren die einzelnen Handlungsstränge auf Kurzgeschichten des israelischen Schriftstellers Etgar Keret, der 2007 für seine Regiearbeit Jellyfish – Vom Meer getragen die goldene Kamera in Cannes erhielt und hier auch beim Drehbuch mitschrieb. Anders als bei dem damaligen Episodenfilm entschied sich Tatia Rosenthal – der Regisseur von $9.99 – jedoch, die Geschichten von Keret als Stop-Motion-Animationsfilm zu gestalten. Das weckt natürlich Erinnerungen an Mary & Max, der ebenfalls mit Knetmassefiguren die tragikomische Geschichte zweier Außenseiter erzählt.
$9.99, eine bloße Kopie? Nein, damit würde man der israelisch-australischen Koproduktion Unrecht tun – und das nicht nur, weil diese eigentlich sogar etwas älter ist, jetzt aber erst auf DVD erscheint. Im Gegensatz zu den bewusst grotesken Figuren des thematisch ähnlichen Animationsfilms wurde hier auf vergleichsweise realistische Darstellungen gesetzt. Dafür wird inhaltlich gerne ins Fantastische geschwenkt. Gerade bei der Geschichte um den Engel, der es nicht so ganz in den Himmel geschafft hat, ist es so, als würde Mary & Max auf Idiots and Angels treffen.
Das Besondere ist jedoch, dass es hinter den teils bizarren Einfällen kräftig menschelt. Dave, Albert und Co. sind keine ausgefallenen Außenseiter, Figuren, die uns durch ihre pure Exzentrizität auf Distanz halten. Der Tod des Partners, das Ende einer Beziehung oder auch Arbeitslosigkeit – wie die unbelebten und unscheinbaren Knetmassehaufen sich an ihren jeweiligen Schicksalsschlägen aufarbeiten, der eine durch Träume, der andere durch Zynismus oder auch durch eine handfeste Depression, verrät uns mehr über uns selbst als so mancher großer Film mit realen Schauspielern. Eine Antwort auf die Sinnsuche wird in dem Episodenfilm nicht gegeben, aber genau das macht $9.99 so wirkungsvoll, denn diese Mischung aus Alltäglichem und Absurdem, aus universellen Fragen und individuellen Scheitern ist oft unglaublich witzig, manchmal traurig aber vor allem immer eins: warmherzig.
$9.99 ist seit 16. August auf DVD erhältlich
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