Das wandelnde Schloss
Das wandelnde Schloss (2004)

Das wandelnde Schloss

(„Hauru no Ugoku Shiro“ directed by Hayao Miyazaki, 2004)

Das wandelnde SchlossRiesige Augen, ewig lange Beine, Schulmädchen, vielleicht ein paar Tentakelmonster und fertig ist der japanische Zeichentrickfilm – so ein lang gehegtes Vorurteil gegenüber den Beiträgen aus dem Land der aufgehenden Sonne. Doch wann immer Kritiker versuchten, ihre gut geölten Schubladen zu füttern, standen ebenso verbissene Widersacher bereit und verkündeten lauthals: Nix da, gibt auch andere! Vor allem eine Animationsschmiede wurde immer wieder als Totschlagargument herangezogen, wenn es darum ging zu zeigen, dass Anime sehr viel mehr sein können: Studio Ghibli.

Mag sein, dass das Studio um Hayao Miyazaki und andere durch seine offene Orientierung an europäischen Vorbildern und die häufige Verarbeitung von Romanen nicht unbedingt die typischsten Vertreter der japanischen Zeichentrickkunst sind, die erfolgreichsten sind sie allemal. Grund genug, euch nach und nach einige ihrer Blockbuster aber auch weniger bekannte Filme vorzustellen, die in der Blu-ray-Collection erschienen sind. Das bedeutet, dass ihr etwa alle zwei Wochen einen neuen Streifen des Studios an dieser Stelle finden werdet.

Den Anfang macht ein Film, der wie kein anderer unter den gewaltigen Erwartungen zu leiden hatte: Als Das wandelnde Schloss Ende 2004 in Japan startete, folgte er damit Chihiros Reise ins Zauberland, der nicht nur der erfolgreichste heimische Film aller Zeiten wurde, sondern auch unter anderem den Oscar für den besten Animationsfilm des Jahres und den Goldenen Bären in Berlin erhielt – als erster Zeichentrickfilm überhaupt.Das wandelnde Schloss Szene 1

Wie so oft, basiert auch dieser Ghibli-Film auf einer literarischen Vorlage. In dem Fall verarbeitete Miyazaki den Roman „Sophie im Schloss des Zauberers“ der englischen Autorin Diana Wynne Jones, änderte jedoch im Laufe der Geschichte einiges ab. Hauptfigur in beidem ist die junge Hutmacherin Sophie, die weder durch ein besonders gutes Aussehen noch extravagante Designfähigkeiten heraussticht. Doch manchmal reicht es auch für eine derart unscheinbare Person, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Oder zum falschen am falschen. Als sie in den Straßen ihrer Heimatstadt dem hübschen Hauro in die Arme läuft, ahnt sie nicht, welche Konsequenzen das für sie haben wird.

Mit diesem kleinen Zwischenfall erregt sie nämlich nur die Aufmerksamkeit des jungen Zauberers sondern auch die der Hexe aus dem Niemandsland – und die hatte selbst ein Auge auf Hauro geworfen. Und so belegt sie aus Eifersucht Sophie mit einem Fluch, der sie rapide altern lässt. Ein nicht ganz willkommener Anlass für die Verzauberte, die sich schon in ihrer jungen Form als sehr hässlich empfand, ihre verschrumpelten Beine in die Hand zu nehmen und die Stadt zu verlassen. Doch wie der Zufall es so will, landet sie am Ende genau bei dem Mann, der ihr das Unglück eingebrockt hat, genauer in seinem Schloss. Und was für ein Schloss das ist! Nicht nur dass es mit Hilfe eines vorlauten Feuerdämons laufen kann, es hat außerdem eine magische Tür, die einen an die verschiedensten Orte teleportiert. Fasziniert von dem sonderbaren Domizil und den noch sonderbareren Bewohnern entschließt sich Sophie zu bleiben und als Putzfrau zu arbeiten. Doch das nicht ganz junge Glück währt nicht lange, denn ein verheerender Krieg fegt über das Land und Hauro soll seinem König bei dessen Kampf unterstützen. Als Hauro sich jedoch weigert, wird er selbst zum Angriffsziel von dessen oberster Zauberin.Das wandelnde Schloss Szene 2

Ein (zumindest innerlich) junges Mädchen, das über sich hinauswachsen und seinen Platz in der Welt finden muss, vielleicht auch die erste Liebe dabei trifft – viele Filme von Hayao Miyazaki greifen dieses Thema auf. Am ehesten drängt sich der Vergleich zu Kikis kleiner Lieferservice auf, bei dem eine kleine Hexe ihre Selbständigkeit erarbeiten muss. Auch das Setting ist recht ähnlich: Beide spielen in einer realistischen wenn auch vergangenen Welt – Zeppeline beherrschen den Himmel – in der Magie Teil des Alltags ist. Dass zwischen beiden Filmen 16 Jahre liegen, zeigt sich vor allem beim Einsatz von Computern. Der ist zwar wie bei Miyazaki üblich eher sparsam dafür aber effektiv. Gerade das wandelnde Schloss an sich ist ein beeindruckender Anblick. Und die handgezeichneten, überaus detaillierten Bilder sind ohnehin über jeden Zweifel erhaben.

Inhaltlich ist Das wandelnde Schloss etwas zwiespältiger. Zwar strotzt der Film vor Einfallsreichtum und Fantasie – wenn Sophie später mit den eigenartigsten Figuren umherzieht, werden Erinnerungen an die Oz-Geschichten wach – doch die Handlungsstränge fügen sich nicht ganz zusammen. Der Kriegsaspekt wird zwar von Anfang an angedeutet, später aber etwas abrupt als Hauptthema etabliert – und ebenso plötzlich wieder fallengelassen. Dadurch entwickelt der düstere Anlass nie die Dringlichkeit, die er bräuchte, um die eindeutig angelegte Anti-Kriegs-Haltung wirklich Nachdruck zu verleihen. Auch bleiben zum Schluss einige Fragen offen, die Auflösung ist zudem etwas übertrieben rührselig.

Im Fall von Das wandelnde Schloss bedeutet das jedoch Meckern auf hohem Niveau, ausgelöst durch die immens hohen Erwartungen. Denn auch wenn Miyazakis Romanverfilmung schwächer ist als die beiden direkten Vorgänger, gehört sie sicherlich zu den Höhepunkten der japanischen Zeichentrickkunst der letzten zehn Jahre. Wer ein „fantastisches“ manchmal düsteres Animationsmärchen sehen möchte, wird hier jedenfalls sehr gut bedient. Animefans haben den Silberling eh längst im Schrank – oder sollten das schleunigst nachholen.



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Das wandelnde Schloss ist ein echter Miyazaki: fantasievoll, detailliert gezeichnet, mit einer rührenden Geschichte um eine junge Frau, die ihren Platz in der Welt finden muss. Aufgrund der nicht ganz runden Handlung vielleicht nicht das beste Werk von Studio Ghibli, für sich genommen aber ein sehr guter Animationsfilm.
8
von 10