(„Sightseers“ directed by Ben Wheatley, 2012)
Die Sehenswürdigkeiten Englands kennenlernen, ein bisschen mit dem Wohnwagen durch die Gegen fahren, den Alltag vergessen – mehr wollen Chris (Steve Oram) und Tina (Alice Lowe) nicht. Das sollte eigentlich nicht zu viel verlangt sein. Tatsächlich ist ihr Urlaub wunderbar, immer wieder, so lange sie allein sind. So lange sie ungestört Landschaften bewundern oder Museen besichtigen können. Aber wie das so ist auf den Reisen, diese süßen Momente des Alleinseins bleiben überschaubar. Oft, zu oft, begegnet man ihnen auf Parkplätzen, in Kneipen, auf Campingplätzen: Mehr oder weniger gleichgesinnte, die mit achtlos weggeworfenem Müll nerven, oder einem unsinnige Regeln aufzwängen wollen.
Aber genau darauf hat Chris keine Lust. Zunächst versteckt, dann immer offener und genüsslicher, bringt der Vorbestrafte jeden um, der ihm in irgendeiner Form den Urlaub verdirbt – und das passiert schon dann, wenn man ihm vor Augen führt, dass sein Plan, Schriftsteller zu werden, nicht ganz realistisch ist. Und was meint seine Angebetete dazu, die aus eher behüteten Verhältnissen stammt? Die findet das ganz toll, ermuntert ihren Partner sogar zum mörderischen Treiben und fackelt später selbst nicht lange, wenn sie meint, jemand stünde ihrem Leben im Weg. Und so sind die Zwei bald im ganzen Land unterwegs, mal mit einer Kamera, dann wieder mit einer tödlichen Tatwaffe in der Hand.
Es ist nicht ganz einfach, Sightseers in ein Genre pressen zu wollen. Meistens wird der Film als Horrorkomödie bezeichnet, was beim Eröffnungsfilm des letztjährigen Fantasy Filmfests auch irgendwo naheliegend ist. Tatsächlich sind die zahlreichen und komplett überzogenen Morde so absurd, dass man schon laut auflachen will – würde einem dieses Lachen nicht regelmäßig im Hals stecken bleiben. Anders als der Kultklassiker Serial Mom, bei dem ebenfalls ein unscheinbares Mitglied der Gesellschaft gerne und aus den nichtigsten Gründen ihr Umfeld umbringt, hat sich Sightseers dabei einer realistischen Optik verschrieben. John Waters machte seinerzeit schon durch seine bonbonfarbenen Bilder deutlich, dass sein Film als Satire auf die perfekten Vorstadtfamilien gedacht war. Ben Wheatley hingegen platziert sein blutrünstiges Paar vor trüben Landschaften und nicht minder trüben Orten. Postkartenidylle? Nein, die gibt es nicht.
Das wäre aber auch reichlich unpassend, denn gleichzeitig ist der englische Film ein fast schon erschütterndes Porträt zweier Leute, die sich zwischen kleinbürgerlichen Träumen, billigem Kitsch und alltäglichen Selbstlügen komplett in ihre Fantasiewelt zurückgezogen haben. Bestes Beispiel ist Tina, wenn sie einen kleinen Hund, den sie unterwegs aufgabeln, ständig Poppy nennt – nach ihrem eigenen verstorbenen Hund, dessen Tod sie nicht akzeptiert hat. Das hätte schnell unfreiwillig komisch werden können, doch die beiden Hauptdarsteller und Ko-Autoren Steve Oram und Alice Lowe erwecken die beiden Alltagspsychopathen fast schon erschreckend real zum Leben und gehören zu den großen Pluspunkten des Films.
Nur: Warum die beiden so sind, darüber schweigt sich Sightseers aus. Bei Tina lässt sich noch vermuten, dass ihre dominante und manipulative Mutter – ebenfalls sehr gut gespielt von Eileen Davies – einen großen Anteil daran hatte, wenn die Tochter nur noch ausbrechen möchte. Bei Chris jedoch wird höchstens seine Arbeitslosigkeit und der damit verbundene Frust als Begründung angeboten. Ein wirkliches Psychogramm ist der neue Film von Wheatley also nicht. Muss er prinzipiell auch nicht, würde Sightseers nicht dadurch irgendwo auf der Mitte liegen bleiben. Für eine reine Komödie ist der Streifen zu trostlos und mit der Zeit etwas zu eintönig, für ein Drama nicht tiefsinnig genug. Für Freunde schwarzen Humors dennoch einen Blick wert.
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