(„Detachment“ directed by Tony Kaye, 2011)
Detachment: die Abtrennung, Loslösung, Distanziertheit. Detachment lautet aber nicht nur der Titel des neuesten Films von Tony Kaye (American History X), sondern auch das Lebensmotto von Henry Barthes (Adrien Brody). Wobei in seinem Fall, wie so oft, die Frage nach Ursache und Folge nicht eindeutig zu beantworten ist. Verweigert er sich aus Selbstschutz jeglicher Nähe zu anderen Menschen, weil er als ständig wechselnder Aushilfslehrer ohnehin keine längerfristige Beziehung zu seinem Umfeld aufbauen kann? Oder wählte er den Beruf, weil er durch den frühen Tod seiner Mutter keine emotionalen Bindungen mehr eingehen will?
Nur ein Mensch ist Henry geblieben, dem er sich nicht entziehen kann: sein Großvater (Louis Zorich), der schwer demenzkrank in einem Altersheim lebt. Und so lebt der Gefühlskrüppel von einem Tag zum nächsten, von einem Job zum nächsten. Bis ihn sein neuester Auftrag mitten in den sozialen Brennpunkt einer High School in New York versetzt, in der Schüler wie Lehrer jegliche Perspektive längst verloren haben.
Diesen Einzelschicksalen wendet sich Kaye recht behutsam zu und wählt dafür einen pseudodokumentarischen Stil. Das bedeutet, dass wir vor allem Szenen zu Gesicht bekommen, unterbrochen von gelegentlichen Interviews mit Barthes. Eine fortlaufende Geschichte bietet Detachment jedoch weniger. Vielmehr schüttet das Schuldrama ein Kaleidoskop des Schmerzes über dem Zuschauer aus, ohne sie weiter zu kommentieren oder in Form zu bringen. Henrys Kollegin Ms. Madison (Christina Hendricks) etwa fehlt es an Durchsetzungsvermögen und wird offen von Schülern und deren Eltern bedroht. Schülerin Meredith (Betty Kaye) wiederum fehlt jeder Rückhalt im Elternhaus, malt grausame Bilder und kokettiert offen mit Selbstmord. Und dann wäre da noch die junge und familienlose Erica (Sami Gayle), der Henry nachts über den Weg läuft, und die sich als Straßenprostituierte mehr schlecht als recht durchs Leben kämpft.
Starke Szenen gibt es bei diesem Sammelsurium aus gescheiterten Existenzen natürlich zuhauf, zumal die Schauspieler durch die Bank weg überzeugen können; in Nebenrollen treten unter anderem auch Lucy Liu und James Caan als nicht minder erfolglose Lehrer auf. Es fehlt Detachment jedoch an der letzten Konsequenz. Das fängt schon bei der formalen Umsetzung an. Die Idee, Henrys einmonatigen Einsatz an der Schule in einem Dokumentationsstil zu erzählen, ist sicher legitim, wird von Kaye aber immer wieder durch betont Unrealistisches durchbrochen. Während die Animationseinlagen dabei durchaus rührend sind, stören die gelegentlichen Ticks der Kamera – schnelle Kamerafahrten, plötzliche Nahaufnahmen – den Fluss.
Schlimmer noch ist aber, dass durch den mangelnden Fokus auch inhaltlich wenig zurückbleibt bis auf das diffuse Gefühl, dass das amerikanische Schulsystem im Eimer ist. Wenn es Kaye letztendlich nur darum ging, ist die Rechnung aufgegangen. Bis auf wenige Szenen – wer hätte gedacht, dass das gemeinsame Frühstück eines Lehrers und einer Hure zu den schönsten Momenten gehören würde? – ist Detachment ungemein trostlos geworden, und selbst ohne Perspektive. Was man dem engagierten Film jedoch auf jeden Fall zugutehalten muss, ist der Verzicht auf Kitsch und ein konstruiertes Happy End. Einiges ist zwar dick aufgetragen, ähnlich rührselig wie in Dangerous Minds wird es hier zum Glück jedoch nicht.
Detachment ist seit 30. August auf DVD und Blu-ray erhältlich
(Anzeige)