(„The Congress“ directed by Ari Folman, 2013)
Who wants to be forever young? Meist fängt es in den späten Zwanzigern an und hört danach nie wieder auf: der Wunsch, immer jung zu sein. Oder wenigstens danach auszusehen. Ganze Wirtschaftszweige, gerade in der Kosmetik, aber auch Ernährung oder Sport, haben sich der Aufgabe gewidmet, den eigenen Kunden das schöne Sein ans Herz zu legen. Kräftig unterstützt werden sie dabei von der Traumfabrik, die von jeher und fast schon aus Prinzip nur wenig an der Darstellung der Realität gelegen ist. Das bekommen vor allem Schauspieler, und hier gerade die weiblichen Geschlechts, zu spüren. Wer zu alt ist für die Rolle der Heldin oder auch der Damsel in Distress, wird aufs Abstellgleis geschoben. Dort gibt es vielleicht noch Oscars für die beste weibliche Nebenrolle, doch die große Bühne, die gehört den Jüngeren, Hübscheren.
Nehmen wir Robin Wright. Die erlangte in ihren 20ern durch Forrest Gump weltweite Berühmtheit. Aber heute, mit Mitte 40? Ausgespuckt von der Maschinerie Hollywoods, für den Massenmarkt nicht mehr brauchbar. Doch zum Glück bleibt der technische Fortschritt nicht stehen, eine neue Computertechnologie erlaubt es, die Menschen einzuscannen und als virtuelle Schauspieler einzusetzen. Und mehr noch: Im Computer werden sie genau so festgehalten, wie sie später auch zu sehen sein sollen. Kein Wunder also, dass sich Hollywood entscheidet, die alten realen Schauspieler durch jüngere und pflegeleichtere Abbilder zu ersetzen.
Eben dazu entschließt sich auch Robin nach einigem Zögern und überlässt ihrer digitalen Version die Bühne, die daraufhin als Actionheldin Weltruhm erlangt. Die wahre Robin jedoch zieht sich – auch das ist Teil des Vertrages – aus dem Filmgeschäft zurück und genießt ihr Leben. Als 20 Jahre später ein futurologischer Kongress stattfindet, versteht es sich jedoch von selbst, dass sie als Aushängeschild der digitalen Revolution daran teilnimmt. Doch die wirkliche Revolution steht erst noch bevor: Eine neue Droge, die bei diesem Kongress vorgestellt wird, erlaubt jedem, in einer animierten Welt genau das zu erleben, was er erleben will. Und so lässt nicht nur Robin sondern auch ein Großteil der Menschheit schon bald die Realität hinter sich.
Drei Jahre arbeitete Ari Folman (Waltz with Bashir) an seinem neuesten Film, aber der hohe Aufwand kann sich sehen lassen – und das in mehrerer Hinsicht. Nicht nur bei seiner Rahmenhandlung vermischt er geschickt die reale und die fiktive Robin Wright, seine Geschichte findet außerdem auf mehreren Seinsebenen (Realität und Vorstellung) und in verschiedenen Darstellungen statt. Während die ersten 45 Minuten die reale Wright bis zum Scanprozess begleiten, wandelt sich The Congress dann zu einem Animationsfilm. Und hier greifen Folman und sein internationales Team aus dem Vollen, kombinieren die unterschiedlichsten Zeichenstile mühelos zu einem derart surrealen Traumgebilde, wie es Inception seinerzeit gerne gewesen wäre.
Für Erklärungen und Logik bleibt auf der anderen Seite der Realität jedoch kein Platz. Das ist auch der Punkt, an dem The Congress seine Probleme bereitet: Er ist oft unverständlich. Natürlich sind Traumwelten gerade dafür angelegt, Sinn mit Sinnen zu ersetzen, aber manche Verwirrung hier ist überflüssig. Während Folman sich sehr viel Zeit lässt, um die Hintergründe der digitalen Schauspieler zu erzählen, springt er ab dem Kongress etwas wild hin und her, lässt Robin in der Animationswelt sogar noch träumen. Gebraucht hätte es das nicht, die Geschichte, die lose auf Stanisław Lems („Solaris“) Roman „Der futorologische Kongress“ basiert, war bis zu dem Zeitpunkt auch so gut genug. Und dank der tollen Leistungen von Wright und Co. auch wirklich bewegend.
Wer Zeichentrickkunst und philosophische Überlegungen zu schätzen weiß und darüber hinaus ein Faible fürs Surreale hat, darf The Congress dennoch nicht verpassen. Wer Science-Fiction-Filme schaut, um naheliegende Fortsetzungen von Konzepten am Rande unserer Erfahrungen zu erleben, wird hier hingegen leer ausgehen; an einer plausiblen Alternativwelt ist Folman wenig gelegen. Und sonderbare Aliens haben hier ohnehin nichts zu suchen, genauso wenig Actionszenen. Vielmehr steht im Mittelpunkt dieses ruhigen und teilweise sehr traurigen Sci-Fi-Dramas, eingehüllt in eine originelle wie bissige Hollywoodkritik mit herrlich vielen Anspielungen (Robins Filmstudio heißt Miramount in Anlehnung an Paramount, Berühmtheiten wie Tom Cruise, Muhammad Ali oder Grace Jones tauchen als Zeichentrickfiguren auf, ohne namentlich genannt zu werden), die alte Grundsatzfrage: Was ist besser, eine hässliche Realität oder eine schöne Lüge?
The Congress läuft ab 12. September im Kino
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