(„The Seasoning House“ directed by Paul Hyett, 2012)
Menschenhandel, Prostitution, Folter und Mord – seit dem Zweiten Weltkrieg hatte es in Europa keine vergleichbaren Gräueltaten gegeben wie zu Kriegszeiten auf dem Balkan. Mit einer eiskalten Exekution beginnt dann auch der britische Thriller The Seasoning House, der zu eben jener Zeit spielt: Goran (Sean Pertwee), ein Anführer der Armee, lässt mehrere wehrlose Menschen aus den Häusern ziehen und erschießen, darunter auch Frauen.
Doch nicht sie stehen im Mittelpunkt, sondern die Tochter einer dieser Frauen, ein kleines stummes Mädchen (Rosie Day). Die muss nicht nur mitansehen, wie ihre Mutter hingerichtet wird, anschließend wird sie zusammen mit anderen verschleppt und muss in dem heruntergekommenen Freudenhaus von Viktor (Kevin Howarth) ihr Dasein fristen. So wie sie sind auch sämtliche Prostituierte nur unfreiwillig dort, müssen hinter Schloss und Riegel leben, werden mit Drogen gefügig gemacht. Angel, wie das Mädchen von Viktor getauft wurde, muss ihren Körper jedoch nicht herhalten. Ihre Aufgabe ist es vielmehr, die Frauen auf ihre Gäste „vorzubereiten“. Was es auch macht, bis eines Tages eine Frau, mit der sich Angel angefreundet hat, nach eine der üblichen Vergewaltigungen zu Tode kommt. Und das durch die Hand einer von Gorans Männern.
Langgezogene Gänge, kein Tageslicht, trübe Farben, bodennahe Kameraperspektiven, unheimliche Musik und kaum Dialoge – Regisseur Paul Hyett versteht es wirklich, in seinem Debüt The Seasoning House eine beklemmende, sogar klaustrophobische Stimmung zu erzeugen. Ein wenig erinnert der Film an Chained, bei dem ebenfalls ein Kind entführt wird und unter widrigen Bedingungen aufwachsen muss, ohne jedoch je selbst zum Opfer zu werden. Auch Angel sitzt zwischen allen Stühlen, hin und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, den anderen zu helfen, und der Angst, dass es ihr ebenso ergehen könnte wie ihnen, wenn sie Viktor nicht gehorcht. Eine schwierige geradezu sadistische Situation, die Hyett seiner Hauptfigur aufbürdet.
Dabei erweist sich der Einfall, eine Stumme als Protagonistin einzusetzen, als überaus effektiv. Fehlende Dialoge, sonst eher ein Zeichen mangelnden Einfallsreichtums, sind hier quasi Teil der Geschichte und verstärken das Gefühl der Isolation. Angel kann sich niemandem mitteilen, entkommen ohnehin nicht, ja, hat nicht einmal einen eigenen Namen. Die einzige Freiheit, die sie genießt, ist das Krabbeln durch die Lüftungsschächte, durch die sie heimlich von Zimmer zu Zimmer gelangt.
Diese gelungen-unangenehme Atmosphäre wird zum Ende hin jedoch wieder über Bord geworfen, wenn der Thriller auch außerhalb des Gebäudes spielt und immer mehr einem konventionellen Rachefilm gleicht. Originelle Einfälle gibt es zwar auch da, aber die sind reichlich übertrieben und fügen sich nicht mit den ersten zwei Dritteln des Filmes zu einem wirklichen Ganzen. Natürlich kann auch eine Rachegeschichte Spaß machen, vor allem, wenn die Sympathien und Voraussetzungen so eindeutig wie hier verteilt sind. Doch die Mischung kann nicht überzeugen, zumal einige Szenen auch unnötig unglaubwürdig werden. Solide ist der Film insgesamt dennoch, es wäre aber mehr drin gewesen.
The Seasoning House ist seit 27. September auf DVD und Blu-ray erhältlich
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