Albert Nobbs

Albert Nobbs

(„Albert Nobbs“ directed by Rodrigo García, 2011)

Albert NobbsAufmerksam, zuvorkommend, verlässlich, diskret – Albert Nobbs (Glenn Close) ist quasi der ideale Butler, eine unverzichtbare Stütze im exklusiven Dubliner Hotel, welches von der wenig freigiebigen Mrs. Baker (Pauline Collins) geführt wird. Seit Jahren arbeitet der zurückhaltende Gehilfe nun für sie, wird von allen geliebt. Nur dass Albert ein Geheimnis hat, von dem niemand etwas wissen darf: Er ist in Wahrheit eine Sie. Versteckt hinter der formellen Bedienstetenkleidung und einer wenig weiblichen Frisur hat sich eine Frau bis nach oben gearbeitet und dabei fleißig Geld für ihren großen Traum zurückgelegt: einen eigenen Tabakladen besitzen.

Doch dieser Traum droht zu platzen, als sich Albert eines Tages das Schlafgemach mit dem Maler Hubert Page (Janet McTeer) teilen muss und dabei unfreiwillig sein/ihr wahres Geschlecht zeigt. Anders als befürchtet, behält Hubert das Geheimnis für sich, sorgt aber auf eine andere Weise für eine Menge Bewegung in Alberts Leben. Schließlich ist auch der Maler nicht ganz der, der er vorgibt zu sein.

Männer, die sich als Frauen ausgeben, haben in Hollywood ja eine lange Tradition, sei es in Manche mögen’s heiß, Tootsie oder auch Mrs. Doubtfire. Der größte Unterschied bei Albert Nobbs ist gar nicht mal, dass hier eine Frau in eine Männerrolle schlüpft, sondern dass damit auch ein Genrewechsel verbunden ist. Die ein oder andere komische Szene gibt es auch hier, doch dahinter verbirgt sich ein ungemein tragisches Schicksal. Und auch die anderen Angestellten haben eher selten etwas zu lachen, im Gegensatz zu den Gästen, die samt und sonders der Oberschicht entstammen. Damit ist Albert Nobbs einem Gosford Park deutlich näher als den obigen Verwechslungsklamotten – und bietet auch den Schauspielern mehr Gelegenheit zu glänzen.Albert Nobbs Szene 1

Kein Wunder also, dass Glenn Close viele Jahre für das Filmprojekt kämpfte. Basierend auf einer Kurzgeschichte des irischen Autors George Moore gab es schon seit langer Zeit eine Theaterversion. Close selbst stand bereits 1982 als Albert auf der Bühne und versuchte seither, Albert Nobbs auch als Film umzusetzen. Am Ende übernahm sie nicht nur die Hauptrolle, sondern produzierte auch, arbeitete am Drehbuch mit, ja, selbst der Abschlusssong „Lay Your Head Down“ von Sinead O’Connor wurde von Close mitkomponiert.

Dass der Film eine echte Herzensangelegenheit der amerikanischen Schauspielerin war, sieht man aber vor allem an ihrer Leistung vor der Kamera: Völlig zu Recht erhielt sie dafür 2012 ihre 6. Oscarnominierung und es wäre ihr zu wünschen gewesen, ihn endlich zu erhalten. Stattdessen durfte sie mit Albert Nobbs den Rekord einstellen, die meistnominierte Frau zu sein, die nie gewonnen hat. Aber auch ohne Award in der Tasche, gehört Albert sicher zu ihren besten Rollen, so wie auch die Nebenbesetzung – vor allem die ebenfalls nominierte Janet McTeer – glänzen kann.Albert Nobbs Szene 2

Natürlich wirkt es heute etwas befremdlich, dass eine Frau sich als Mann verkleidet, um eine Butlerkarriere zu starten. Doch zum einen spielt der Film Ende des 19. Jahrhunderts, als die Uhren noch etwas anders tickten. Und zum anderen steht im Gegensatz zu den Komödien oben hier kein Mensch im Mittelpunkt, der mittels Geschlechtertausch ein bestimmtes Ziel erreichen will. Vielmehr ist hier gerade das Unbestimmte Programm, ein Mensch ohne eigene Identität, der sich aber genau danach sehnt. So wie andere Figuren im Film sich an ihren Traum Amerika klammern, lebt Albert nur dafür, mit seiner Angebeteten Helen (Mia Wasikowska) ein beschauliches kleines Leben zu führen, so wie sie es bei Hubert gesehen hat.

Diese stille Tragik ist es auch, die den Stoff trotz seines altertümlichen Äußeren auch heute noch relevant macht. Denn so wie manche heute vielleicht davon träumen, das aufregende Leben eines Prominenten zu führen, wäre Albert in seiner Vorstellung schon glücklich, das Leben eines normalen Menschen haben zu dürfen. Glücklicherweise kommt der Film dabei auch noch ohne jeglichen Kitsch aus, Inhalt und Inszenierung sind ebenso zurückhaltend und spröde wie der vertrocknete Butler. Wer sich angesichts der Bilder und des Settings ein Kostümdrama à la Jane Austen erhofft, sollte sich besser woanders umsehen. Und große dramatische Momente fehlen ebenso, ausschweifende Theatralik hat im Leben des Albert Nobbs keinen Platz. Stattdessen richtet sich die Literaturverfilmung eindeutig an Zuschauer, die bei kleinen gescheiterten Existenzen mitfühlen können. Die sollten Albert Nobbs aber auf alle Fälle einmal anschauen. Der Film mag schwer zu glauben und auch nicht unbedingt spannend sein, sehenswert ist er dennoch.



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Albert Nobbs
fazit
Eine Frau, die sich als Mann ausgibt – komisch ist das bei Albert Nobbs auf keinen Fall. Stattdessen verbirgt sich hinter dem Butlerkostüm ein Mensch, der sich mangels eigener Identität an Träume klammert. Das macht das spröde und exzellent gespielte Drama trotz seiner für heutige Empfinden unglaubwürdigen Geschichte zu einem sehenswerten und bewegenden Film.
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