(„Kari-gurashi no Arietti“ directed by Hiromasa Yonebayashi, 2010)
Im fünften Teil unseres Studio-Ghibli-Specials widmen wir uns einem ihrer Spätwerke, das hierzulande nicht ganz so viel Bekanntheit erreicht hat – vermutlich, weil der ganz große Hype um das Studio 2010 schon vorbei war und auch kein großer Name dahinterstand. Hiromasa Yonebayashi gab mit Arrietty – Die wundersame Welt der Borger nicht nur sein Regiedebüt ab, mit gerade einmal 36 Jahre war er damit der bislang jüngste aller Ghibli-Regisseure.
So ganz ohne prominente Schützenhilfe ging es hier jedoch dann doch nicht zu. Das Drehbuch stammte von Hayao Miyazaki, der ebenso wie Ghibli-Mitgründer Isao Takahata schon viele Jahre lang eine Verfilmung der Buchreihe „Die Borger“ der englischen Autorin Mary Norton im Auge hatte. Und wer die Bücher kennt, dürfte darüber nicht überrascht sein. Wie auch in Miyazakis eigenen Filmen Mein Nachbar Totoro und Ponyo – Das große Abenteuer am Meer folgen wir hier einem kleinen Kind, das durch Zufall einem Fantasiewesen begegnet, sich mit diesem anfreundet und gemeinsam schwierige Zeiten durchstehen muss.
Was in jenen Filmen der Waldgeist Totoro bzw. das Fischmädchen Ponyo, ist hier die kleine Arrietty. Die gehört wie ihre Familie der Rasse der „Borger“ an, däumlingsähnliche Miniaturmenschen, die sich ihr Material und Essen von den großen Menschen borgen, in deren Nähe sie sich aufhalten. Unbemerkt versteht sich, denn sobald die Winzlinge entdeckt werden, müssen sie sich ein neues Zuhause suchen. Zumindest besagt eine alte Überlieferung, dass die Riesen ihnen nichts als Unglück bringen.
Doch genau dieses Worst-Case-Szenario tritt ein, als der Junge Shô zu seiner Tante zieht, um sich vor seiner Herzoperation auszuruhen. Arrietty, die 14-jährige Tochter des Clans und etwas leichtsinnig veranlagt, kann sich nicht schnell genug vor dem Neuankömmling verstecken, als sie durch den Garten huscht. Der versucht zwar, sie von seinen guten Absichten zu überzeugen, was aber zunächst auf erbitterten Widerstand trifft. Erst, als er ihr das Leben rettet, öffnet sie sich Shô gegenüber, und langsam entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft.
Freundschaften über alle Grenzen hinweg, die Betonung von Vertrauen, das Nebeneinander einer realen und einer Fantasiewelt, dazu eine leise Kritik an unserer Gesellschaft – Arrietty – Die wundersame Welt der Borger vereint typische Elemente eines Studio-Ghibli-Films. Und dazu gehört auch bei Yonebayashi der weitestgehende Verzicht auf Computereffekte. Stattdessen vertrauen die Animationskünstler aus Japan auf handgefertigte Zeichnungen, nur gelegentlich wird der Rechner zu Hilfe gezogen. Und wie immer ist der „altmodische“ Zugang die große Stärke des Films, denn die geht bei Ghibli traditionell mit Detailverliebtheit und ausdrucksstarken Figuren einher.
Etwas untypisch für die familienfreundlicheren Filme von Ghibli gibt es hier jedoch eine Art Gegenspielerin in der Gestalt von Haru, der borgerfeindlichen und gemein veranlagten Angestellten der Tante. Abgesehen davon wird sich jeder Ghibli-Fan hier sofort heimisch fühlen. Vielleicht sogar etwas zu heimisch, denn der Rückgriff auf alte Tugenden und bekannte Inhaltsmuster hat zur Folge, dass Arrietty dem reichhaltigen Katalog von Studio Ghibli kein wirklich neues Kapitel hinzuzufügen hat. Da hatte beispielsweise Chihiros Reise ins Zauberland deutlich ungewöhnlichere Wesen in seiner Menagerie.
Wer das aber gar nicht erwartet, findet hier einen makellosen Vertreter: zauberhaft, witzig, charmant und manchmal auch rührend. Und so darf man gespannt sein, wie Yonebayashis nächster Film ausfallen wird. Gerüchten zufolge soll es sich dabei um eine Fortsetzung von Miyazakis Klassiker Porco Rosso handeln. Und wer den noch nicht kennt, sollte auch weiterhin alle zwei Wochen bei unserem Special reinschauen. Denn der Film um einen schweineköpfigen Kriegspiloten steht ebenso noch auf unserem Programm wie diverse andere Werke der Animationsschmiede.
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