(„Gedo senki“ directed by Goro Miyazaki, 2006)
Der vierte Teil unserer Studio-Ghibli-Reihe steht ganz im Zeichen eines berühmten Namens. Oder auch im Schatten eines solchen. In die Fußstapfen erfolgreicher Eltern zu treten ist nie einfach, vor allem wenn man auch noch deren Beruf ergreift. Das gilt für Unternehmer genauso wie für Politiker oder Künstler – und damit auch Regisseure. Versucht hat es so mancher Sprössling, Papa oder Mama nachzueifern, wirklich geschafft hat es aber kaum einer. Immerhin, Sofia Coppola, Tochter von Francis Ford Coppola, erhielt 2003 für Lost in Translation eine Oscarnominierung. David Lynchs Tochter Jennifer erreichte mit dem Skandalfilm Boxing Helena oder dem nicht minder verstörenden Chained zumindest eine gewisse Bekanntheit.
Dass auch der männliche Nachwuchs Ambitionen auf den Regisseursstuhl hat, zeigt das Beispiel Goro Miyazaki, Sohn des Animationsgroßmeisters Hayao. 2006 lieferte er mit Die Chroniken von Erdsee sein Regiedebüt ab und das ebenfalls für Studio Ghibli. Und um eins vorweg zu nehmen, er macht die Sache ganz ordentlich.
Grundlage des Zeichentrickfilms bildet die Erdsee-Romanreihe der amerikanischen Autorin Ursula K. Le Guin, die zwischen 1986 und 2001 entstand. Schon sein Vater griff gerne auf Buch- oder Mangavorlagen zurück, etwa in Kikis kleiner Lieferservice oder auch Das Schloss von Cagliostro. Anders als bei Hayao ist die Atmosphäre bei Die Chroniken von Erdsee aber weniger märchenhaft sondern orientiert sich stärker an klassischen Fantasyepen wie Herr der Ringe oder Record of Lodoss War.
Anders als Tolkiens Werk und die Animeserie hat Goro aber nur zwei Stunden zur Verfügung – und das zeigt sich leider auch. Während sein Vater, mal abgesehen vielleicht von Das wandelnde Schloss, die Umlagen immer so umsetzen konnte, dass es zu keinem Bruch kam, hat man bei Die Chroniken von Erdsee immer wieder das Gefühl, einem würden Informationen fehlen. Was hat es mit den Drogen auf sich? Wie kommen die Drachen ins Spiel? Wieso haben alle mehrere Namen?
Was seinem Regiedebüt auf der inhaltlichen Seite abgehen, macht Goro Miyazaki aber durch seine Stimmung mehr als wett. Im Mittelpunkt des Films steht Prinz Arren von Enlad, der unter dem Einfluss eines mysteriösen Schattens steht und immer wieder Ausbrüche von Grausamkeit hat. Bei einem dieser Anfälle tötet er seinen eigenen Vater und ist seither auf der Flucht. Auf dieser Reise begegnet er dem Erzmagier Ged, der den Flüchtling daraufhin unter seine Fittiche nimmt. Doch während dessen Zukunft damit langsam wieder freundlicher erscheint, bahnt sich im Rest des Landes etwas Finsteres an: Die Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten, Drachen zerfleischen sich gegenseitig und Magier haben ihre Macht verloren. Alle bis auf Ged und den geheimnisvollen Cob von Havnor, der ein alter Bekannter von Ged ist und in seinem Schloss ganz eigene Pläne zu schmieden scheint.
Vor allem die Begegnungen mit Cob – der im Original aber auch auf Deutsch von einer Frau synchronisiert wird – und Arrens grausamer Schatten sorgen für eine düstere, spannende Atmosphäre, wie es auch Hayao nicht besser hätte hinbekommen können. Wie einst bei Prinzessin Mononoke, der Film, mit dem man Erdsee noch am ehestens vergleichen kann, fließt auch hier reichlich Blut. Wer Studio Ghibli vor allem mit familienfreundlicheren Filmen wie Mein Nachbar Totoro oder Ponyo – Das große Abenteuer am Meer verbindet, wird von der gelegentlichen Gewalt sicher überrascht sein.
Überrascht, oder vielmehr enttäuscht, war auch die Autorin Le Guin, als sie die Verfilmung sah. Nicht nur dass Hayao entgegen ihrer Annahmen kaum an dem Film mitwirkte, die Handlung wurde teils deutlich abgeändert. Geht man jedoch ohne Erwartungen an den Film heran, egal ob als Kenner der Vorlage oder Fan von Studio Ghibli, trifft man beim oft geschmähten Die Chroniken von Erdsee auf einen Anime, der gute Zeichnungen und eine gelungene Atmosphäre vereint. Wäre die Geschichte runder und zusammenhängender, hätte auch Goros Debüt zu einem Klassiker werden können. So reicht es aber „nur“ zu einem soliden Film für Fantasyfans, der immerhin Potenzial für zukünftige Streifen zeigt. Aus diesem Grund sollte sich jeder Zeichentrickfilmfan schon einmal den 21. November anstreichen, wenn Der Mohnblumenberg in unsere Kinos kommt – der zweite Film von Miyazaki junior.
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