(„Finsterworld“ directed by Frauke Finsterwalder, 2013)
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal …
Ein deutsches Wort im Titel, gekoppelt an ein englisches, Schnipsel von vier verschiedenen Personen, die in grotesker Weise zu einer einzigen zusammenmontiert wurden – das Plakat von Finsterworld versteht es auf jeden Fall, auf sich aufmerksam zu machen. Reiner Selbstzweck ist diese ungewöhnliche Komposition aber nicht, vielmehr ein brillantes weil überaus passendes grafisches Pendant zu einem nicht minder ungewöhnlichen Film.
Doch davon ahnt man zu Beginn wenig. Fußpfleger Claude Petersdorf (Michael Maertens) ist gerade auf dem Weg zu einer Kundin im Altersheim. Der Himmel ist blau, die Sommerlandschaft erstrahlt durch das Sonnenlicht in warmen Farben. Was könnte diese Idylle noch trüben? Antwort: ein Polizist. Ein Polizist namens Tom (Ronald Zehrfeld). Der erwischt Claude nämlich, wie der mit dem Handy telefoniert, während er die Straße lang fährt. Das dafür fällige Bußgeld hat der Podologe natürlich nicht, doch zum Glück gibt sich Tom mit Claudes Produkten zufrieden und drückt deswegen ein Auge zu.
Moment, ein Polizist, der sich bestechen lässt? Mit Fußpflegeprodukten? Ähnlich wie hier fangen sämtliche Geschichten des Episodenfilms vertraut und normal an, geben dann nach und nach ihre überraschenden, bizarren und eben auch finsteren Seiten preis. Die Schüler eines Eliteinternats sind beispielsweise auf einem großen Ausflug, der sie ausgerechnet in ein KZ führt. Das Ehepaar Sandberg (Corinna Harfouch und Bernhard Schütz) blickt auf so ziemlich jeden herab, die Dokumentarfilmerin Franziska (Sandra Hüller), die Freundin von Tom, schaut nur hin, wenn sie die Geschichte verkaufen kann. Ein friedlicher Einsiedler hat nicht ganz so friedliche Absichten. Und selbst Tom und Claude haben über eine Eingangsszene hinaus weitere Geheimnisse, die witzig, grotesk und verstörend zugleich sind.
Fünf Handlungsstränge spinnen sich so durch den Film, kreuzen sich mal, oft auch nicht. Auch wie die einzelnen Figuren zusammenhängen, verrät Regisseurin Frauke Finsterwalder erst mit der Zeit. Nun sind Episodenfilme immer eine trickreiche Angelegenheit. Auf der einen Seite bieten sie Anlass, interessante Geschichten zu erzählen und wunderliche Charaktere zu zeigen, die für einen ganzen Film einfach nicht genug hergeben oder auf Dauer vielleicht sogar nerven würden. Gleichzeitig läuft man ohne roten Faden aber auch immer Gefahr, seine Zuschauer unterwegs zu verlieren oder schlicht zu langweilen, so wie es zum Beispiel dem starbesetzten 360 – Jede Begegnung hat ihre Folgen ergangen ist.
Langeweile kommt hier jedoch an keiner Stelle auf, selbst wenn vor der großen Kamera kaum bekannte Namen agieren. Dafür versteckt sich in den Credits ein Name, der zumindest Literaturfreunden vertraut sein dürfte: Christian Kracht, Ehemann von Frauke Finsterwalder und Co-Autor des Drehbuchs. Schon in seinen Büchern wie „Faserland“ übte er sich in tragikomischen, gesellschaftskritischen Geschichten. Und so weiß man dann auch hier oft nicht, ob man vergnügt kichern oder entsetzt aus dem Kinosaal flüchten will, ob Finsterworld ein trauriges Drama oder beißende Satire ist. Gescheitert sind in dem Film schließlich fast alle Figuren und ein Happy End ist auch nur wenigen vergönnt.
Und nicht nur was die Genrefrage angeht, sind die Grenzen fließend, auch bei der Entscheidung: Ja, sind wir denn noch in Deutschland? Zusammen mit einem wunderbaren Ensemble schafft es die frühere Dokumentarfilmerin Finsterwalder eine Welt zu zeigen, die gleichzeitig schrecklich und schrecklich real ist. Wie ein Kaleidoskop der Gesellschaft oder eben die Figur aus dem Plakat setzt sich hier alles aus Elementen zusammen, die einem bekannt vorkommen, in ihrer Zusammensetzung dann aber deutlich verzerrt wirken. Vielleicht ist das sogar die größte Leistung von Finsterworld, dieses ungute Gefühl, beim Betrachten der Einzelepisoden nie wirklich zu wissen, auf welcher Seite des Spiegels man gerade gelandet ist.
Finsterworld startet am 17. Oktober im Kino
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