(„Heute bin ich blond“ directed by Marc Rothemund, 2012)
Und man sollte eben doch nicht nach dem Äußeren gehen. Eine junge Frau, hübsch, strahlende Augen, darüber prangt groß: „Heute bin ich blond“. Das dürfte bei manchen den Jagdinstinkt wecken, bei anderen die Alarmglocken. Denn das hört sich nach Werbung für Haarfärbemittel an. Oder schlimmer noch: eine Teenieklamotte.
Doch die Verfilmung des autobiografischen Romans von Sophie van der Stap hat nur zum Teil mit den üblichen Erfahrungen einer typischen Jugendlichen zu tun. Gerade einmal 21 ist Sophie (Lisa Tomaschewsky), als sie die erschütternde Nachricht erhält: Krebs. Überlebenschancen? Unter 50 Prozent. Laut Durchschnittswert sogar eher 15 Prozent. Statt Dauerparty, Kickersessions und anonymen Männerbegegnungen zum Umfallen, wird ihr Alltag daraufhin durch weniger schillernde und abwechslungsreiche Abläufe bestimmt. Chemotherapie, Bestrahlungen, wochenlange Krankenhausaufenthalte.
Natürlich, die Unterstützung ihres Umfeldes ist da, sei es durch ihre Eltern, die beste Freundin Annabel (Karoline Teska). Ja, selbst ihre oft kritische Schwester Saskia (Alice Dwyer) kommt täglich vorbei, um Sophie zu bekochen. Doch keiner von ihnen, weder die Familie, noch die Freunde oder auch das Krankenhauspersonal kann sie davor bewahren, ihre schöne lange Mähne zu verlieren. Eine Perücke muss her. Oder besser: neun Perücken. Denn mit jeder schlüpft Sophie in eine andere Rolle und versucht trotz aller Widrigkeiten das Leben zu führen, das ihr die Krankheit eigentlich versagt.
Schon in dem Moment, in dem Lisa Tomaschewsky als Sophie vor laufender Kamera ihre langen Haare abschneidet, wird klar: Dieser Film ist anders als erwartet. Das Reizvolle an Heute bin ich blond ist dann auch weniger die Erkrankung, Filme zu dem Thema gibt es schließlich mehr als genug, sondern der Kampf einer Jugendlichen, sich nicht von dieser ihr Leben diktieren zu lassen. Und vor allem aber auch, welchen Einfluss die Wahl der Perücke auf ihren Alltag und die Außenwirkung hat. Wirklich in die Tiefe geht der Film jedoch an diesen Stellen nicht, die einzelnen Alter Egos bleiben trotz aller gegenteiliger Beteuerung im Prinzip austauschbar.
Natürlich ist die Oberflächlichkeit auch dem Platzmangel geschuldet: Um die neun Persönlichkeiten stärker herauszuarbeiten, hätte es mehr gebraucht als die zwei Stunden Laufzeit, zumal dort ja auch die mehrmonatige Behandlung abgehandelt werden muss. Ärgerlich ist aber dass die (knappe) Zeit auf diverse Nebencharaktere verschwendet wird wie ihre Leidensgenossen Chantal und Emil, die mit ihren kurzen Auftritten letztendlich wie der Versuch wirken, auf die Schnelle noch eine Lehre für Sophie einzubauen. Dabei hätte es die gar nicht gebraucht. Und auch die On-Off-Beziehung zu Rob (David Rott) hat dem Thema nicht wirklich etwas hinzuzufügen.
Am stärksten ist Heute bin ich blond deshalb immer dann, wenn ohne großen Überbau die Szenen für sich selbst sprechen können, die direkt mit der Krankheit zusammenhängen: der erste Tag ohne Haare, das Gefühl, von allen angestarrt zu werden, der Erfahrungsaustausch mit der früher selbst krebskranken Mutter (Maike Bollow), der zwischenzeitliche Zusammenbruch. Für einen Newcomer nicht selbstverständlich, meistert Tomaschewsky diese Szenen gut und wirkt in keiner der Alternativrollen deplatziert. Und auch bei den anderen Schauspielern gibt es keinen Grund zur Kritik.
Gelacht werden darf zwischendurch übrigens auch, so sehr sogar, dass Heute bin ich blond trotz des ernsten Themas zeitweilig als Komödie durchgehen würde. Das hilft natürlich, nicht unter der eigenen Schwere zu ersticken – immer eine Gefahr bei Filmen über Krankheiten – zumal sich die komischen und ernsten Teile harmonischer zusammenfügen als beim thematisch verwandten Das Leben ist nichts für Feiglinge. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass es weniger Szenen gibt, die einem im Gedächtnis bleiben. Dafür bleibt die gute Tragikomödie insgesamt dann doch zu harmlos.
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