No

¡No!

(„No“ directed by Pablo Larraín, 2012)

No„Die sind doch alle gleich!“ „Meine Stimme zählt sowieso nichts.“ „Mich interessiert das einfach nicht.“

Wann immer Jugendliche nach den Gründen ihrer Politikverdrossenheit gefragt werden, sind Ohnmachtsgefühle und Gleichgültigkeit weit vorne dabei. Erstere dürfte die chilenische Bevölkerung in den 70ern und 80ern bestens gekannt haben, Letzteres konnte sich jedoch kaum einer leisten: Folter, mehrere Tausend Ermordete, viele, die bis heute spurlos verschwunden sind – so lautete die Bilanz, als 1990 die langjährige Militärdiktatur von Augusto Pinochet zu Ende ging. Anders als sein Amtseintritt verlief das Ende seiner Herrschaft jedoch äußerst unblutig, dafür reichlich kurios.

1988 hatte die Weltgemeinschaft genug von seinem ehemaligen Verbündeten und dessen kaum versteckten Völkerrechtsverletzungen. Als sich Pinochet seine Amtszeit quasi im Selbstbeschluss verlängern wollte, wurde er daher gezwungen, Wahlen abzuhalten. Freie Wahlen. Wahlen, die darüber entscheiden sollten, ob er an der Macht bleiben durfte.

Freie Wahlen und Diktaturen passen nun aber in etwa so gut zusammen wie Bayern und die Opposition. Man kann sie war nicht verbieten, dafür aber nach Herzenslust ignorieren. Und so ging man auch in Chile erst gar nicht davon aus, dass die Abstimmung mehr wäre als eine Formalität. Entsprechend versuchten die wild zusammengewürfelten Widerständler auch nicht zu gewinnen. Vielmehr wollte man in den 15-minütigen Sendungen, die nachts gesendet wurden – mehr Öffentlichkeit wurde ihnen nicht zugestanden – die Bevölkerung vor allem schockieren und auf die Missstände aufmerksam machen. „Völlig falscher Ansatz“, meinte daraufhin Rene Saavedra (Gael Garcia Bernal), im wahren Leben ein Werbefachmann, und inszenierte die No-Kampagne wie einen Werbespot: farbenfroh, witzig, mit flotter Musik und vielen schrägen Einfällen. Und hatte damit mehr Erfolg, als irgendjemand erwartet hätte – Pinochet eingeschlossen.No Szene 1

Wer unvorbereitet No das erste Mal anschaut, wird ebenso Schwierigkeiten haben, das Gezeigte zu glauben. Doch der kuriose Mitternachtsregenbogenwahlkampf hat tatsächlich Ende der 80er in Chile so stattgefunden. Mindestens ebenso ungewöhnlich wie der Inhalt ist aber auch die Art und Weise, in der Regisseur Pablo Larraín seine Geschichtsstunde umsetzt: Der gesamte Film wurde mit U-matic-Videokameras im 4:3-Bildformat aufgenommen. Das heute unübliche Format ist dabei kein bloßes Gimmick. Vielmehr konnte Larraín dadurch viele der Originalspots von 1988 einbauen, ohne dass es weiter auffällt. Dass es sich dabei tatsächlich um die damals gezeigten Fassungen handelt, beweist das Bonusmaterial auf der DVD, der viele der trashig-witzigen Spots von einst versammelt und die etwa 30 Prozent des Hauptfilms ausmachen.

Auch sonst wurde bei der Ausstattung viel Liebe zum Detail gezeigt: Von der Musik über die Einrichtungen bis zur Kleidung wurde alles so originalgetreu rekonstruiert, dass man meinen könnte, eine tatsächliche Dokumentation aus der Zeit vor sich zu haben. Doch das kann und will No überhaupt nicht sein. Die düsteren Aspekte der Zeit werden nur gelegentlich eingebaut, vielmehr konzentriert sich der Film darauf, die Absurdität der Kampagne aber auch die der Diktatur zu betonen. Und so macht der Film dann vor allem eins: Spaß.No Szene 2

Das ist sicher auch der Verdienst des mexikanischen Hauptdarstellers Gael García Bernal, dessen Figur mit einer guten Portion Zynismus und dafür ohne Pathos an seine schwierige Aufgabe geht und damit immer wieder mit anderen aneinandergerät. Und so stellt No bei aller Geschichtlichkeit und Witzigkeit eine ganz universelle Frage: Darf eine so ernste Situation, ja darf Politik allgemein, sich derart vorbehaltlos die Mechanismen der Werbung aneignen? Auf der ethischen Ebene bleibt diese Frage am Ende unbeantwortet, doch zumindest als Zuschauer des Films darf man darauf ohne Zögern antworten: Si!

No ist seit 4. Oktober auf DVD erhältlich



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No wirft einen unterhaltsamen Blick auf eine der ungewöhnlichsten Wahlkampfkampagnen der neueren Geschichte. Zwangsläufig zugespitzt konzentriert sich der formal ungewöhnliche Film vor allem auf die absurden Aspekte, die ernsten Hintergründe werden nur vereinzelt erwähnt.
7
von 10