(„Silvi“ directed by Nico Sommer, 2012)
Der Weg ist das Ziel, heißt es ja in einem beliebten Sinnspruch. Silvi (Lina Wendel) wäre es zu wünschen, dass sie derselben Ansicht ist, so wie sie ein ums andere Mal auf der Suche nach Liebe, Glück, Geborgenheit an Männer gerät, die ihr nur auf den ersten Blick das geben können. Dabei hatte sich die 47-Jährige ihr Leben ohnehin ganz anders vorgestellt. Über zwanzig Jahre war sie mit Michael (Thorsten Merten) verheiratet, seit ihrer Jugend waren die beiden ein Paar. Ein glückliches Paar? Das vielleicht nicht. Die große Leidenschaft war sicher vorbei, geblieben war der Alltag.
„Ich kenne jede Falte an dir. Das ist doch ein Alptraum!“
So bringt Michael die Situation des Paares auf den Punkt, als er sich eines Tages aus dem heiteren Himmel von ihr trennt. Natürlich, auch Silvi war nicht froh darüber, wie die gemeinsame Beziehung immer mehr das Gemeinsame verlor. Aber sie hatte sich damit abgefunden, mit dem fehlenden Kribbeln, der leisen Tristesse. Umso schockierter ist sie, als Michael auf der Fahrt nach Hause einfach aus dem Wagen steigt und aus ihrem Leben davonläuft. Dieses Loch versucht sie, auch auf Rat einer Freundin, mit einem neuen Mann zu füllen. Mit neuen Männern. Doch wie sie feststellt, ist das in ihrem Alter gar nicht mehr so einfach, zumal ihre neue Bekanntschaften – darunter der alleinerziehende Vater Thomas (Peter Trabner) – selbst Sehnsüchte mit sich herumschleppen. Sehnsüchte, die sich nur bedingt mit ihren eigenen decken.
Bis dass der Tod euch scheidet – was früher die Norm war, droht immer mehr zu einem Auslaufmodell zu werden, knapp die Hälfte aller Ehen werden vorzeitig wieder geschieden. Insofern ist das Schicksal von Silvi alles andere als außergewöhnlich. Außergewöhnlich ist jedoch, wie Regisseur Nico Sommer bei seinem Kinodebüt die ebenso traurige wie alltägliche Geschichte in Bilder packt. Schon der Trennungsszene geht jegliche Theatralik ab, die in Herzschmerzdramen gerne und ausführlich eingebaut werden. Ein kleiner heftiger Wortwechsel, eine zugeknallte Autotür, das war’s. Unspektakulär ist dieser Bruch in ihrem Leben, ungeschminkt, geradezu brutal nah dran.
Diese Vorgehensweise hält Sommer konsequent bis zum Ende durch, baut auch immer wieder Stilmittel ein, die er sich beim Dreh seiner früheren Dokumentationsfilme angeeignet hat. Beispielsweise wird die Handlung immer wieder von Interviews mit Silvi unterbrochen, in denen sie ihre Erfahrungen schildert. Die Dialoge wiederum waren vor dem Dreh nicht ausformuliert. Ein Treatment, das die einzelnen Szenen beschreibt, gab es, ja. Aber es lag am Team, vor allem an den Schauspielern, dieses mit Leben zu füllen. Insofern steht Silvi in Tradition von ähnlich gemachten Filmen wie dem deutschen Dicke Mädchen oder auch den amerikanischen Mumblecorestreifen, etwa der Duplass-Brüder (Jeff, der noch zu Hause lebt).
Natürlich entstehen auf diese Weise keine Wortwechsel, die noch in 50 Jahren von Filmfans zitiert werden. Dafür wirken sie authentischer als die oft überlebensgroßen Hollywoodbeiträge. Hier wird zwar auch von strahlenden Prinzen geträumt. Doch die kommen nicht auf edlen Schimmeln daher, sondern mit dem Bus. Und statt eines Königreichs wartet in deren Zuhause nur die Ehefrau, die von den Eskapaden des Gattens nichts wissen darf. Schöne Märchen hat Silvi damit nicht zu bieten, das Leben in all seinen nicht immer schönen Facetten steht im Fokus. Abschalten gilt also nicht.
An anderen Stellen wird das Lebensnahe aber auch durchbrochen, vor allem bei der Musik. In den letzten Jahren hat sich in deutschen Filmen ja die Unsitte etabliert, selbst leise zwischenmenschliche Szenen unter hymnischem Powerpop begraben zu wollen. Silvi wendet sich hingegen einem nicht minder schlimmeren aber auf schreckliche Weise passenden Musikgenre zu: Schlager. Genauer tauchen immer wieder Lieder von Gitte auf, die in ihrer Sehnsuchtssuche absolut auf die Situation von Silvi passen, gleichzeitig aber auch wie eine Parodie wirkt.
Gleiches gilt für die drei Männer, die nach und nach in Silvis Leben treten. Zunächst scheinen sie nette Kerle zu sein, normale Typen, die einfach eine Frau an ihrer Seite wollen. Das tun sie auch, allerdings eine, die ganz spezifische Anforderungen zu erfüllen hat. Und diese Anforderungen sind so verquer, so grotesk, dass man sich fast ärgert, wenn der Film immer wieder derlei absurde Wendungen hat und somit das Authentische aufgibt. Doch das tut Silvi nur zum Schein, denn hinter den sonderlichen Erfahrungen steckt eine wahre Geschichte, eine reale Frau aus dem Bekanntenkreis von Nico Sommer. Manchmal, so scheint es, schreibt das Leben doch die eigenartigsten aller Geschichten.
Silvi startet am 3. Oktober im Kino
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