(„Freier Fall“ directed by Stephan Lacant, 2013)
„Schon mal dran gedacht, einfach abzuhauen? Irgendwohin und neu anzufangen?“
Nein, das hatte Marc (Hanno Koffler) bislang nicht. Wozu auch? Es läuft ja alles beim Polizisten. Die Karriereaussichten sind gut, er darf mit seiner Freundin eine Doppelhaushälfte beziehen und bald steht auch noch Nachwuchs an. Also alles nett, geordnet, überschaubar. So, wie es sich in der Provinz gehört. So, wie es sich Mama und Papa immer für ihren Marc gewünscht haben. Und wahrscheinlich wäre auch weiterhin alles nach Wunsch gegangen, wäre nicht eines Tages Kay (Max Riemelt) recht gewaltsam in sein Leben getreten.
Auf einem Polizeilehrgang war das. Zuerst wenig begeistert von dem Kollegen, kommen sich die beiden rasch näher. Und näher. Bis es dann doch zu nahe ist, denn Kays Gefühle für Marc sind nicht unbedingt kollegialer Natur. Für den angehenden Vater ein Schock, natürlich, für das Konzept der gleichgeschlechtlichen Liebe gab es in dem eng angelegten Raster, wie er es von zu Hause und auch der Arbeit aus kennt, keinen Platz. Als er jedoch beginnt, diese Gefühle zu erwidern, gerät seine komplette Welt ins Wanken. Hin und her gerissen zwischen dem, was er kennt, und der aufregenden Affäre, versucht Marc beide Seiten in Einklang zu bringen und ein Doppelleben zu führen – und stürzt damit immer weiter ab.
Eingetragene Partnerschaften hin, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz her, noch immer gibt es ganze Bereiche, in denen Homosexualität im besten Fall totgeschwiegen, wenn nicht sogar aktiv geächtet wird. Die letzten Bastionen der „wahren“ Männlichkeit. Die Armee gehört dazu. Fußball natürlich. Und eben auch die Polizei. Insofern ist es spannend, wenn ein Film eine dieser Tabuzonen – hier eben die Polizei – herauspickt und von einer verbotenen Liebe erzählt, die ausgerechnet dort entsteht und ausgelebt wird. Doch wirklich lange hält sich Regisseur und Koautor Stephen Lacant nicht mit diesem Spannungsfeld auf. Mehr noch als die Homophobie inmitten der Gesetzeshüter interessiert ihn, welche Auswirkung die Affäre für die Beteiligten hat.
Durch diese Fokussierung auf die Zweierbeziehung verschwimmt alles um die beiden herum, was Vor-, aber auch Nachteile hat. Eine der Schwächen sind die einfach gehaltenen Charaktere. Wir wissen, dass Marcs Mutter konservativ und einer der Kollegen homophob und gewalttätig ist. Aber sonst? Da erfahren wir nicht viel. Nicht einmal Bettina (Katharina Schüttler), Marcs Partnerin und Mutter ihres Sohnes, tritt je aus dem Schatten hervor. Das gleiche gilt mit Abstrichen für die beiden Hauptfiguren. Woher kommt Kaj? Was ist sein Hintergrund? Welche Persönlichkeit hat er? Er ist impulsiver als Marc, unangepasster, neigt zur Provokation. Soviel ist klar. Ansonsten bleibt er aber der gutaussehende Fremde, der eines Tages auftaucht und alles durcheinanderbringt.
Stark wird Freier Fall hingegen, wenn das Drumherum ausgeblendet wird und sich alles nur um die beiden Männer dreht. Richtig stark sogar. Das ist vor allem ein Verdienst der beiden Hauptdarsteller, denen man ihre Rollen und die Beziehung zueinander abkauft, sowohl in den leidenschaftlichen Momenten, aber auch den ruhigen, zärtlichen. Selbst wenn sie sich nur anschauen, wortlos, mal lächelnd, mal nicht, liegt darin eine Intensität und Glaubwürdigkeit, die man den sonst auf Mädchenschwarmrollen abonnierten Hanno Koffler und Max Riemelt vielleicht nicht zugetraut hätte.
Ebenso bemerkenswert ist, dass sich Lacant mit Urteilen und Bewertungen zurückhält. Bei Brokeback Mountain, der immer wieder zum Vergleich herangezogen wird, hatte man schon das Gefühl, dass die Affäre Ausdruck einer unterdrückten Sexualität war. Bei Marc fehlt das. Anzeichen für diese Neigung gab es vor Kaj keine, und auch unabhängig von diesem scheint da kein großes Interesse zu bestehen. Dass Marc seine Frau liebt, sein Kind, sein Leben – all das ist unbestreitbar. Was dann immer wieder die Frage aufwirft: Was genau geschieht da zwischen den beiden Männern? Ist es eine Liebe, die genauso stark ist wie die zwischen Marc und Bettina? Stärker? Schwächer? Was ganz anderes?
Dass Freier Fall keine konkrete Antwort darauf gibt und wohl auch nicht geben will, ist in diesem Fall kein Manko. Ein Statement für mehr Selbstbestimmtheit wird nicht gegeben, dafür ist Marc letztendlich zu schwach und konfliktscheu, weshalb der die Frage oben nach einem Neuanfang auch verneint. Stattdessen wird eine tiefe Zuneigung skizziert, die sich einer Definition entzieht – so wie es für Gefühle nun mal oft der Fall ist – und daraus ihre emotionale Kraft zieht. Wenn ein Mensch sich zu zwei anderen gleichzeitig hingezogen fühlt und sich nicht entscheiden kann, dann ist das weder eine ungewöhnliche, noch eine besonders neue Situation, gerade nicht in Filmen. Bewegend aber manchmal schon, zumindest wenn sie so echt und nachvollziehbar wie hier wirkt.
Freier Fall ist seit 22. November auf DVD und Blu-ray erhältlich
(Anzeige)