(„Paulette“ directed by Jérôme Enrico, 2012)
„Warum magst du mich eigentlich nicht?“
„Weil du schwarz bist.“
Nein, eine reizende alte Dame ist Paulette (Bernadette Lafont) mit Sicherheit nicht. Vielmehr ist die Großmutter so garstig, dass sie selbst den bösen Wolf noch vertrieben hätte. Rassistisch, verbittert, gemein – seitdem sie ihr altes Restaurant an Japaner verkaufen musste und ihr alkoholsüchtiger Ehemann das Zeitliche gesegnet hat, nutzt sie jede Gelegenheit, um andere ihre Wut spüren zu lassen. So wirft sie ihrer Tochter Agnès (Axelle Laffont) bis heute vor, mit dem Polizisten Ousmane (Jean-Baptiste Anoumon) einen Neger geheiratet zu haben. Das Enkelkind Léo (Ismaël Dramé)? Existiert offiziell nicht. Und wenn sie sich doch mal um den Kleinen kümmern muss, versucht sie nicht einmal, ihre Abscheu zu verbergen.
Ein Grund für ihre Bösartigkeit ist sicher auch die Situation, in der sie sich befindet. 600 Euro Rente im Monat? Das reicht nicht einmal, um die Miete für ihre Wohnung im sozialen Brennpunkt eines Pariser Vororts zu bezahlen. Ständig streift Paulette durch die Gegend, ernährt sich von nicht verkauftem Essen beim Markt und scheut nicht einmal davor, aus der Mülltonne zu fischen. Als sie dabei eines Tages ein Päckchen Haschisch aufsammelt, das die Dealer auf der Flucht vor der Polizei dort verloren haben, fasst sie einen Entschluss: Sie lässt sich vom lokalen Drogenbaron Vito (Paco Boublard) anheuern. Eine absurde Idee. Aber auch so absurd, dass sie wieder brillant ist. Denn wer würde schon eine Oma verdächtigen?
Eine alte Frau, der sie die Möbel pfänden und die daraufhin gezwungen ist, sich als Drogendealerin durchzuschlagen, das hätte leicht ein schweres Milieudrama werden können. Stattdessen wählt Regisseur Jérôme Enrico aber den Weg der Komödie, eine Mischung aus Jetzt oder nie und Grasgeflüster. Das bedeutet, dass neben allerlei Situationskomik auch die leiseren, etwas rührseligen Momente nicht fehlen dürfen. Denn natürlich wird Paulette durch ihre neue Karriere und den unerwarteten Geldsegen wieder zurück ins Leben, zu mehr Freude und letztendlich auch zu ihrer Familie finden. Dass sie am Ende sogar ihren farbigen Enkel ins Herz schließen wird, dürfte niemanden wirklich überraschen – Paulette ist trotz seiner düsteren Ausgangslage letztendlich doch „nur“ eine Feel-Good-Komödie.
Aber eben auch eine sehr gute, und das aus zwei Gründen. Da wäre zum einen der Humor selbst. Wie auch beim Kassenschlager Ziemlich beste Freunde wird hier auf typisch französische Weise ein sozial aufgeladenes Thema mit politisch höchst unkorrekten Witzen verknüpft. Wenn Paulette zum Beispiel im Beichtstuhl den Priester von ihren Hasstiraden gegenüber Ausländern ausnimmt, weil der es „verdient hätte, weiß zu sein“, oder eine ihrer Freundinnen nur noch mit „Alzheimer“ anspricht, dann ist das so jenseits von Gut und Böse, dass es sich hierzulande kaum einer getraut hätte, das in den Mund zu nehmen. Aber auch an absurden Situationen mangelt es nicht; das ergibt sich allein schon durch die ungewohnte Ausgangslage einer 80-jährigen Drogendealerin.
Der zweite große Trumpf ist Hauptdarstellerin Bernadette Lafont. Wenn die französische Leinwandlegende ihr Umfeld schikaniert oder gegen Ende ihre liebevolle Seite entdeckt, dann ist das – Vorhersehbarkeit hin, unglaubwürdiges Ende her – so witzig, so warmherzig und so sehenswert, dass sich der Film dann doch lohnt und sowohl in der Heimat als auch hier verdient zu einem Erfolg wurde. Umso trauriger, dass Paulette der letzte Film der dieses Jahr verstorbenen Darstellerin gewesen ist. Immerhin beendete sie ihre Karriere mit einer starken Leistung, die uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurücklässt.
Paulette ist seit 22. November auf DVD und Blu-ray erhältlich
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