(„Yut doi jung si“ directed by Wong Kar-Wai, 2013)
Ob Happy Together, In the Mood for Love oder My Blueberry Nights, Wong Kar-Wai dürfte vielen vor allem für seine stylischen Beziehungsdramen bekannt sein. Entsprechend groß war daher die Spannung, wie er sich seinem ersten Martial-Arts-Film seit Ashes of Time (1994) nähern würde. Um es kurz zu machen: nicht viel anders als sonst. Die Geschichte sollte dabei Kung-Fu-Fans bestens vertraut sein, widmet sich der chinesische Regisseur doch dem Leben von Ip Man (Tony Leung Chiu-Wai), Lehrer von Bruce Lee und Hauptfigur der gleichnamigen Filme mit Donnie Yen. Während sich diese aber auf einzelne Abschnitte im Leben Ip Mans konzentrierten, etwa die japanische Besatzungszeit, versucht The Grandmaster einen Rundumschlag – und das in mehrerer Hinsicht.
„Wie langweilig wäre das Leben doch, wenn es nichts zu bereuen gäbe“, sagt Gong Er (Zhang Ziyi) einmal, Tochter des nordchinesischen Großmeisters Gong Bao-Sen (Wang Qingxiang) und selbst sehr bewandert in den Kampfkünsten. Anders als erwartet dreht sich der Film nämlich nicht nur um die Martial-Arts-Legende, sondern um mehrere wichtige Figuren des Kung Fu und deren oftmals traurigen Geschichten. Den Anfang macht Bao-Sen, der 1936 in den Süden kommt, um einen Nachfolger zu finden und dafür eben Ip Man herausfordern will. Enden tut der Film den 50ern, als – bedingt durch den Krieg – viele Kampfkünstler einen regulären Beruf angenommen haben.
Wong Kar-Wai folgt mal dem einen Protagonisten, dann dem anderen. Hin und wieder treffen sich ihre Wege wieder, manchmal aber auch nicht. Die tragischen Schicksale werden wiederholt angesprochen, ohne aber je in den Mittelpunkt zu rücken. Klar, dass bei einem derart ambitionierten Rahmenprogramm nur an der Oberfläche gekratzt werden kann, viele Episoden und Figuren skizzenhaft bleiben, wichtige Themen wie Schicksal und Ehre geradezu beiläufig auftauchen. Einzelne bewegende Szenen gibt es dabei, aber durch die mangelnde Fokussierung auf bestimmte Charaktere oder eine Handlung im eigentlichen Sinn, bleibt Wong Kar-Wai immer auf Distanz. Eine wirkliche Bindung zu den einzelnen Figuren ist damit nur schwer möglich.
Auch die Kampfszenen sind seltener als vielleicht erwartet, dafür aufwendig vorbereitet: Vier Jahre lang musste Tony Leung Chiu-Wai (Hero) für seine Rolle üben, Kampf-Choreograph Yuen Woo-Ping inszenierte zuvor unter anderem die Duelle in Tiger & Dragon und Matrix. Das Ergebnis ist äußerst stilvoll ausgefallen, durch den fast schon exzessiven Einsatz von Detailaufnahmen und Zeitlupen gewinnen die Kämpfe eine anmutige, geradezu sinnliche Ästhetik. Wer auf handfeste Actionszenen hofft, wird daher eher enttäuscht werden. Vielmehr betont The Grandmaster den Kunstaspekt der Kampfkunst, eine Art Tanz, schön, sogar atemberaubend – aber auch unwirklich.
Ein furioses Kopf-aus-Actionspektakel à la Ip Man ist der Eröffnungsfilm der Berlinale 2013 also trotz des gemeinsamen Hauptcharakters nicht geworden. Und auch der Vergleich mit Tiger & Dragon und Hero trifft nicht so ganz, dafür nehmen die Kämpfe einen zu geringen Stellenwert ein, sind eher Ausdruck weniger Ziel von The Grandmaster. Sollten sich Martial-Arts-Fans den Film dennoch anschauen? Absolut, zumindest wenn sie ein bisschen mehr über die Herkunft erfahren wollen. Nur sollten die dabei wissen, was sie hier erwartet: eine kunstvolle, ruhige, oft melancholische Liebeserklärung an eine Kampfkunst und ihre Philosophie.
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