(„Hannibal Season 1“, TV-Serie, 2013)
Die großen Innovationen bei Film und Fernsehen, darin sind sich Kritiker wie Zuschauer einig, finden in den USA im Bereich der Serie statt. Früher als die kleinere Variante des Spielfilms belächelt, in der Neulinge ihre erste Sporen verdienen dürfen, entscheiden sich heute immer mehr namhafte Regisseure und Schauspieler bewusst für das TV-Format. Die Vorteile liegen auf der Hand: Anstatt in meist 90-120 Minuten alles abhandeln zu müssen, bieten Serien die Möglichkeit, komplexere Geschichten zu erzählen und Figuren über das Reißbrett hinaus zu erzählen.
Nachteil dieser Popularität: Jedes Jahr werfen die Sender so viele neue Serien in den Ring, immer in der Hoffnung, das nächste große Ding gefunden zu haben, dass viele unter dem Berg an Neuerscheinungen begraben werden. Nehmen wir Bryan Fuller. Der schuf mit Dead Like Me und Pushing Daisies zwei Serien, die trotz Kultstatus und Kritikerlob nach zwei Staffeln abgesetzt wurden. Schlimmer noch hat es sein Wonderfalls getroffen, das nicht einmal die erste Season überlebte. Fast hat man den Eindruck, Hannibal wäre die direkte Antwort auf diese Misserfolge gewesen, denn im Gegensatz zu früher setzte er hier deutlich mehr auf Bewährtes und große Namen.
Da wäre zum einen das Genre. Krimi- oder Thrillerserien erfreuen sich nicht erst seit gestern einer großen Beliebtheit. Wer in dem Bereich für Nachschub sorgt, geht kein besonders großes Risiko ein, am Massenpublikum vorbeizuschreiben. Wenn dann auch noch sowohl die Figuren bekannt sind – Hannibal basiert auf Roter Drache, dem Vorgänger von Das Schweigen der Lämmer – als auch die Schauspieler (unter anderem sind Mads Mikkelsen, Laurence Fishburne und Gillian Anderson dabei), riecht das schon stark nach Erfolg um jeden Preis.
Dabei spielt Hannibal Lecter, der berühmteste aller Kannibalen, trotz des Serientitels gar nicht mal die Hauptrolle. Vielmehr steht Will Graham (Hugh Dancy) im Mittelpunkt. Der unterrichtet eigentlich an der FBI Academy bei Baltimore, wenn er nicht gerade von Agent Jack Crawford (Laurence Fishburne) zu Außeneinsätzen mitgeschleppt wird. Denn Will hat eine einzigartige Gabe: Er hat ein so ausgeprägtes Empathievermögen, dass er sich in jeden anderen Menschen hineinversetzen kann und so dem FBI hilft, Serienmörder zu schnappen. Ein Blick auf den Tatort und er weiß nicht nur, wie der Mord geschah, sondern auch warum und damit von wem.
Kehrseite der Medaille ist, dass dieses ständige Hineinversetzen in die Psyche von meist gestörten Killern nicht ohne Einfluss bleibt. Will, selbst nicht der stabilste Mensch, leidet zunehmend an Wahnvorstellungen, geistigen Aussetzern und Identitätsstörungen. Ist der Profiler selbst davor durchzudrehen und eine Gefahr für andere zu werden? Um das zu verhindern, stellt ihm Jack den Psychiater Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) an die Seite, der ein Auge auf den begabten Sonderling werfen soll. Was jedoch weder Will noch Jack ahnen: Der so seriös wirkende Hannibal ist selbst ein Serienmörder und manipuliert sein Umfeld nach Belieben.
Schon wieder eine Profiler-Serie? Wem gerade die skurrilen Figuren und die tragikomischen Geschichten von Fullers anderen Serien gefallen hat, dürfte bei der Ankündigung von Hannibal etwas enttäuscht gewesen sein. Während das FBI-schnappt-Verbrecher-Thema von anderen gut bedient wird, wenn nicht gar längst übersättigt ist, gefielen Dead Like Me und Pushing Daisies gerade durch ihre ungewöhnlichen Plots. Im direkten Vergleich zieht das konventionellere Hannibal da eindeutig den Kürzeren, Fullers Faible fürs Sonderbare schimmert aber auch hier deutlich durch. Viele Fälle, die Will und Jack lösen müssen, sind dermaßen bizarr, verstörend und brutal, dass man sich als Zuschauer fragt, wie überhaupt noch Menschen in Baltimore leben können.
Hier zeigen sich aber auch die Nachteile des Formats: Durch den Zwang, innerhalb von 40 Minuten eine Geschichte abarbeiten zu müssen, bleibt für die einzelnen Fälle nur wenig Platz. Sie werden jedes Mal im Handumdrehen, fast schon willkürlich gelöst und dann gleich wieder beiseite gelegt. Überhaupt hatten Fuller und sein Team geradezu unheimlich viele Einfälle, die immer wieder eingebaut werden, dann aber viel zu schnell fallengelassen werden. Man könnte meinen, Fuller – gebrannt durch seine vorzeitig abgesetzten anderen Serien – wollte so viel wie möglich unterbringen, bevor ihn hier wieder dasselbe Schicksal ereilt. Und das ist wahnsinnig schade, denn über vieles hätte man gerne mehr erfahren. Das macht Hannibal zu einem sehr abwechslungsreichen, aber eben auch frustrierenden Fernseherlebnis.
Deutlich ausgereifter ist dafür die übergeordnete Geschichte: der langsame Verfall von Will. Der ist nicht nur von Hugh Dancy wahnsinnig gut gespielt, sondern wird in surrealen Szenen effektiv in Szene gesetzt. Unterstützt werden diese Halluzinationen durch den stimmungsvollen Einsatz von Licht und Schatten, aber auch einer verfremdeten Musik, die streckenweise an Silent Hill erinnert. Ähnlich wie dort wird die Spannung vor allem durch die Atmosphäre erzeugt, weniger durch Action. Und die ist so hoch, dass das unbefriedigende Ende umso ärgerlicher ausfällt. Immerhin ist eine zweite Staffel bereits in Arbeit, anders als bei Dead Like Me und Fullers anderen Serien müssen wir hier also nicht mit den losen Enden leben. Apropos, wer seine früheren Kreationen mochte, wird sich hier über diverse bekannte Gesichter und Anspielungen freuen.
Hannibal (1. Staffel) ist seit 20. Dezember auf DVD und Blu-ray erhältlic
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