(„Act of Grace“ directed by Noreen Kershaw, 2008)
Was bestimmt, wen wir als unsere Familie ansehen? Blutsbande? Wie viel Zeit wir miteinander verbracht haben? Die Zuneigung füreinander? Punkt eins und zwei treffen auf Dezzie und seine Arbeiterfamilie sicher zu. Doch die Zuneigung hält sich in Grenzen, zumindest dem Vater gegenüber. Weder dem Alkohol noch häuslicher Gewalt abgeneigt, macht der Dezzie, aber auch Bruder und Mutter das Leben zur Hölle. Das ist der Junge auch aus der Schule gewohnt, wo er regelmäßig zum Angriffsziel von Rowdys wird. Erst als zwei noch Schwächere an seine Schule versetzt werden, die beiden Geschwister Yasin und Mui, wird Dezzie von Platz eins des Mobbingrankings verdrängt. Die neu gewonnene Ruhe genießen? Denkste. Stattdessen setzt sich der Prügelknabe für die beiden Neulinge ein, eilt ihnen zu Hilfe, als sie selbst in eine Schlägerei geraten. Die danken es ihm damit, ihn in ihre Familie aufzunehmen: Einwanderer aus Hongkong.
Ein Schritt vorwärts, einer zurück. Während sein neues Umfeld dem Jungen endlich halt gibt, sieht es im eigenen Heim düster aus. Als der Vater eines Tages mal wieder gewalttätig wird, setzt sich Dezzie zur Wehr und tötet dabei das Familienoberhaupt. Zehn Jahre später, der Vatermörder ist längst erwachsen, wird Dezzie (Leo Gregory) aus dem Gefängnis entlassen und läuft bald seinem Nichtganzblutsbruder Yasin (Chike Chan) in die Arme. Der Einwanderer ist da längst Mitglied der Triaden und führt seinen einstigen Retter in die „Familie“ ein. Das schnelle Geld wartet dort, Anerkennung, ein besseres Leben, aber auch sehr viel Gewalt. Und natürlich auch Gefahren.
Ab dem Zeitpunkt interessiert sich Bruderehre weniger für das Verhältnis zwischen den beiden Freunden. Auch Dezzies Gefühle für Yasins Schwester Mui (Jennifer Lim) spielen kaum mehr eine Rolle. Und die spannende Frage, wie sich jemand aus einem fremden Kulturkreis in einer so traditionell geprägten Verbrecherorganisation zurechtfindet, die wird erst gar nicht gestellt. Stattdessen zeigt Regisseur Noreen Kershaw vor allem Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gangs, oftmals auch blutige, die weder für die Figuren noch für die Handlung sonderlich relevant sind. Einfallsreich ist die Geschichte da nicht, wer sich aber nicht für das Zwischenmenschliche oder Interkulturelle, sondern nur für Action interessiert, wird mit ihr leben können.
Dass hier das thematische Potenzial der Ausgangssituation nicht genutzt wurde – ein Weißer wird Mitglied der Triaden – ist schade, wäre also zu verschmerzen gewesen, wenn wir dafür wenigstens einen spannenden Actionfilm bekommen hätten. Aber auch daraus wurde nichts, und das ist das größte Problem des englischen Milieufilms: Er ist langweilig. Das liegt zum einen an den dürftigen schauspielerischen Leistungen und den belanglosen Dialogen, vor allem aber auch an den misslungenen Actionszenen, den billigen Schießereien. Der gelegentliche Hang zum Pathos fällt dann auch schon nicht mehr weiter ins Gewicht. Wirklich aufregen muss man sich über Bruderehre zwar nicht, wer ihn nicht gesehen hat, verpasst aber auch nicht viel.
Bruderehre ist seit 9. Januar auf DVD und Blu-ray erhältlich
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