(„Schuld sind immer die Anderen“ directed by Lars-Gunnar Lotz, 2012)
„Ist das hier ein Streichelzoo?“
Gewöhnungsbedürftig ist das Zusammenleben hier sicherlich: Jeder muss einen ihm zugewiesenen farbigen Pullover tragen, das Tier gibt den Rang innerhalb der Gemeinschaft an. Und dann trägt das Heim auch noch den Namen „Waldhaus“ und liegt so weit abgelegen, dass man tatsächlich erwarten könnte, Bambi könne jeden Moment um die Ecke kommen und seine ganzen kleinen Freunde mitbringen.
Nur dass es hier keine Freunde gibt. Keine Kumpel. Keine Kameraden. Dafür eine Menge junger, zorniger, gewaltbereiter Männer, die sich an noch mehr Regeln halten müssen als die Wahl des Pullovers. Regeln, die bestimmen, wann du aufstehst, was du tust, wie lange du duschen darfst. Regeln, die dir auch vieles verbieten, das Reden über die Vergangenheit zum Beispiel. Oder jeglichen körperlichen Kontakt. Und doch halten sich die Jugendlichen an das Regelkorsett, versuchen es zumindest. Denn was wäre die Alternative? Zurück in den Knast?
Außerdem ist das Resozialisierungsprogramm für Ben (Edin Hasanovic) und die anderen jugendlichen Straftäter nun mal die einzige Chance, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren und ein neues Leben zu beginnen. Bevor der das kann, muss er sich jedoch erst mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen, denn er erkennt in der Hausmutter Eva (Julia Brendler) die Frau wieder, die er bei einem Überfall brutal zusammengeschlagen hat. Ein Verbrechen, das nie aufgeklärt wurde.
Größtes Manko des Films ist die mangelnde Plausibilität. Schon die Ausgangssituation – ein Verbrecher und sein ehemaliges Opfer leben unter einem Dach – wäre schon ein ziemlicher Zufall. Hinzu kommen noch andere kleine Ereignisse und Wendungen, die den deutschen Film manchmal etwas künstlich und unrealistisch wirken lassen. Findet man sich damit ab, stellt man schnell fest, dass die Geschichte zwar etwas konstruiert, dafür aber auch sehr spannend ist. Schließlich ahnt Eva nicht, wer der Neuankömmling ist, Ben trug seinerzeit eine Maske.
Gerade die Frage, ob sie ihm auf die Schliche kommt, er irgendwann die Nerven verliert, lässt Schuld sind immer die Anderen zeitweise zu einem kammerspielartigen Thriller werden. Ein Entkommen ist nicht möglich, das Prinzip des Waldhauses lautet Kontrolle. Keiner darf alleine sein, in regelmäßigen Runden werden die Mitbewohner dazu angehalten, jeden Fehltritt der Anderen offenzulegen – und das vor versammelter Mannschaft. Zusammen mit den kalten, farblosen Aufnahmen entsteht so ein beklemmendes Gefühl, das einen nach einem recht langsamen Start doch sehr zu packen bekommt.
Doch hinter diesem Katz-und-Maus-Spiel lauern viel grundsätzlichere Fragen zu Schuld und Sühne, Verantwortung und Vergebung. Kann ich jemandem verzeihen, der mein Leben zerstört hat? Will ich das überhaupt? Schuld sind immer die Anderen lässt uns aber auch, und das ist das Besondere an dem deutschen Drama, hautnah mitfühlen, wie ein Täter seinem früheren Opfer begegnet und sich mit seinem Verbrechen auseinandersetzen muss. Ein interessanter Ansatz, einmal aus der meist dominanten Opferperspektive auszubrechen. So wahnsinnig viel erfahren wir zwar nicht über Ben, so wie eigentlich alle Figuren eher an der Oberfläche bleiben.
Dass dies kaum auffällt, zeigt wie verflucht gut die Schauspieler ihre Rollen auszufüllen wussten. Vor allem den beiden Kontrahenten Edin Hasanovic und Julia Brendler ist es zu verdanken, dass die Konfrontation mit dem Anderen aber auch sich selbst ungemein intensiv, bewegend und hart geworden ist. Und damit auch für den Zuschauer alles andere als ein Streichelzoo.
Schuld sind immer die Anderen erscheint am 17. Januar auf DVD
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