(„Staudamm“ directed by Thomas Sieben, 2013)
„Was halten Sie eigentlich von Amokläufern?“
„Keine Ahnung, da hab ich noch nie drüber nachgedacht.“
Allgemein ist Roman (Friedrich Mücke) nicht unbedingt der Typ, der groß an anderen Menschen oder deren Gefühle interessiert ist. Da kommt es schon mal vor, dass er die Verabredung mit seiner Freundin vergisst, weil er sich lieber seiner Spielekonsole widmet. „Xbox“, mehr hat er nicht zu sagen, als seine Freundin ihn fragt, ob er sie ernsthaft versetzt hat, um auf der Playstation zocken zu können.
All das ändert sich, als er für einen Aushilfsjob in die bayerische Provinz fährt, um dort Unterlagen über einen Amoklauf an der Schule zu besorgen, die er vorlesen und auf Band speichern soll. Aber wie das auf dem Land nun mal so ist, die Mühlen mahlen langsam. Aus einer Stippvisite wird eine Übernachtung, danach gleich mehrere Tage, die er in dem Ort verbringen muss. Während er darauf wartet, dass ihm die Behörden endlich die Papiere aushändigen, lernt er die junge Laura (Liv Lisa Fries) kennen, die mit dem Täter zur Schule ging, sogar mit ihm befreundet war. Auf einmal direkt mit der Tat konfrontiert, wächst in Roman doch langsam die Neugierde. Wie war das damals? Warum wollte der Junge so viele Menschen töten?
Sich dem schwierigen Thema Amoklauf an einer Schule über einen Unbeteiligten und sogar anfänglich Uninteressierten zu nähern, ist sicher ein ungewöhnlicher Ansatz. Und doch auch wieder einleuchtend. Kein Drama, keine Tränen, der Blick aufs Geschehen bleibt hier immer aus der Distanz. Außer Roman und Laura bekommen wir fast keine Menschen zu sehen, der Ort ist nach dem Unglück wie ausgestorben. Selbst die Schule steht seit diesem Tag leer. Keiner will daran erinnert werden, das zeigen auch Beschimpfungen, die Roman über sich ergehen lassen muss. Er ist unerwünscht, so wie alle, die in alten Wunden stochern. Aus diesem Grund lässt uns der Film über lange Zeit auch im Unklaren. Nach und nach kommen zwar Puzzleteile hinzu, wirklich von der Stelle bewegen wir uns jedoch nicht.
Erst ganz zum Schluss lässt Staudamm den Täter selbst zu Wort kommen. Mancher wird dann für sich denken: Na endlich! Nötig wäre das aber nicht gewesen. Eigentlich ist es sogar etwas schade, denn die Faszination des Films bestand bis dahin gerade aus dem Unausgesprochenen, der Unaussprechlichkeit des Massenmordes. Kaum Musik, trostlose Bilder mit viel Regen, Wolken und Schnee, dazu immer wieder das Beamtendeutsch der Akten – mehr brauchte das Drama nicht, um die Leere und Fassungslosigkeit auszudrücken, die seither den Ort fest im Griff haben.
Dieses Konzept wird zum Ende etwas abrupt über den Haufen geworfen. Vielleicht wollte man damit dem breiten Publikum damit doch noch entgegen kommen. Ein bisschen aufgesetzt wirkt der Sinneswandel schon, genauso die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Roman und Laura. Ob es was gebracht hat, wird sich zeigen. Viele werden sich vermutlich dennoch an der sehr ruhigen Geschichte stören, der fehlenden Handlung, dem Mangel an Emotionen. Aber genau das macht Staudamm auch wieder zu einem lohnenswerten Filmereignis.
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