(„The World’s End“ directed by Edgar Wright, 2013)
Schon mal an einer Sache dran gewesen, die groß ist, wirklich groß, nur um dann kurz vor dem Ende aufzuhören? Zum Beispiel einen Marathon gelaufen, auf den letzten Meter aber zusammengebrochen? Die Doktorarbeit geschrieben und dann nie abgegeben? Alle drei Teile von Herr der Ringe als Extended Version am Stück gesehen, aber ausgeschaltet, als Frodo den Schicksalsberg erreicht? Gary (Simon Pegg) kennt das, denn der war einst selbst kurz davor, Geschichte zu schreiben. Lokale Geschichte. In einem Lokal. Oder besser: zwölf davon.
Eine Nacht, fünf Jungs, zwölf Pubs – was Gary vorhatte, war nicht weniger, als mit seinen Freunden die „Goldene Meile“ durchzusaufen, eine Ansammlung eben dieser zwölf Zapfhahnhimmel im heimatlichen Newton Haven. Je ein Bier pro Zwischenstopp, so lautete der ambitionierte Plan. Man kam am Ende zwar nur bis zu Pub Nummer zehn, aber Spaß hatte man doch ohne Ende. Die beste Nacht ihres Lebens würde das sein, davon war Gary überzeugt.
Und so traurig das auch sein mag, er sollte recht haben damit. Zwanzig Jahre danach ist aus dem einstigen Jüngling ein 40-jähriger Mann geworden, der seine Zeit abwechselnd bei den anonymen Alkoholikern und seiner vielleicht zwei Quadratmeter großen Wohnung verbringt, um hier wie dort dieser einen Nacht nachzutrauern. Und sich zu ärgern, dass sie damals vorzeitig aufgehört haben. Also trommelt er seine einstigen Freunde zusammen – Oliver (Martin Freeman) und Andrew (Nick Frost), Peter (Eddie Marsan) und Steven (Paddy Considine) – um dann eben jetzt die Goldene Meile doch noch zu bezwingen. Und als wäre das nicht schon Herausforderung genug, müssen die fünf irgendwann feststellen, dass die Einwohner ihrer früheren Heimatstadt inzwischen alle durch Roboter-Lookalikes ersetzt wurden.
Erst Roland Emmerichs Spezialeffektspektakel 2012, dann die Romanverfilmung Jesus liebt mich und zuletzt Das ist das Ende – der Weltuntergang in Filmen ist einfach nicht totzukriegen. Am ehesten lässt sich The World’s End dabei mit der derben Komödie der Hollywoodkollegen vergleichen, denn auch hier wird kaum etwas ernstgenommen, es darf und wird laut gelacht werden. Aber das sollte niemanden überraschen, der sich die Credits anschaut: Edgar Wright als Regisseur, Simon Pegg und Nick Frost in den Hauptrollen – diese Kombination kennt man aus Shaun of the Dead und Hot Fuzz. Tatsächlich bildet The World’s End zusammen mit jenen Komödien die Cornetto-Trilogie.
Wenn etwas an dem Abschlussfilm überrascht, dann ist es nicht der gewohnt absurde Humor, sondern vielmehr die leisen Szenen. Immer wieder schimmert beim Saufgelage Melancholie durch, wenn sich die „fünf Musketiere“ mit Aspekten ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, mit Freundschaft, mit Erinnerungen. Und damit, wie die Realität manchmal die Träume einholt. Hier zeigt sich, dass Wright und Pegg, die wie schon bei den beiden „Vorgängern“ das Drehbuch schrieben, durchaus mehr draufhaben als durchgeknallte Komödien. Es ist dann sogar fast schade, wenn diese erstaunlich bewegenden Momente gleich wieder unter der nächsten Kneipenschlägerei begraben werden.
Andererseits sind die so gut inszeniert, dass man dem britischen Duo kaum böse sein wird. Ähnlich einflussreich wie Shaun of the Dead wird die neueste Zusammenarbeit zwar nicht sein, dafür ist deren Humor dann inzwischen doch schon zu stark etabliert. Aber Spaß macht es auch beim dritten Anlauf, zumal auch hier wieder kräftig Genrefilme parodiert werden. Waren es bei Shaun of the Dead noch Zombiehorror und bei Hot Fuzz Copfilme, standen diesmal Science-Fiction-Klassiker wie Das Dorf der Verdammten oder Die Frauen von Stepford Pate. Wie so oft ist der Spaß also dann am größten, wenn man Anspielungen auf die Originale versteht.
Anspielungen gibt es übrigens auch in einer anderen Hinsicht: Ob beim Betreten eines Pubs die Säuferhymne „Old Red Eyes Is Back“ von The Beautiful South gespielt wird, später passend zur Nostalgie „Do You Remember the First Time?“ von Pulp oder im Club „Step Back in Time“ von Kylie Minogue läuft – hier wurde wunderbar darauf geachtet, ausschließlich Musik zu verwenden, die nicht nur inhaltlich zum Geschehen passt, sondern auch samt und sonders aus der Zeit stammt, als Gary und die anderen das erste Mal ihre Sauftour antraten. Wenn sich zu den Künstlern oben noch Blur und die Charlatans reihen, Saint Etienne und die Stone Roses, Suede und die Soup Dragons, dann treten wir auch musikalisch eine Reise in die Vergangenheit an. Wer selbst damals dabei war, als in England fast jede Woche eine neue und oft richtig gute Gitarrenband aufploppte, der wird sich allein deshalb schon wie der sechste Musketier fühlen und auch dann noch weitergrinsen, wenn der Film schwächelt, etwa wenn zwischendurch das Tempo nicht ganz stimmt und das Ende dann schon zu over the top geraten ist. Denn so sympathisch und witzig sind Reunions selten.
Manchmal, so lehrt uns The World’s End, lohnt er sich also doch, der zweite Anlauf.
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