(„Gloria“ directed by Sebastián Lelio, 2013)
„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, sang einmal Udo Jürgens. Gloria (Paulina García) hätte da zwar noch acht Jahre Zeit, auf Warten hat die rüstige Endfünzigerin aber keine Lust. Wozu auch? Die Kinder sind längst aus dem Haus, ihr Bürojob füllt sie nicht so wirklich aus und von ihrem Mann ist seit schon seit Jahren geschieden. Wenn sie noch einmal Spaß im Leben haben will, dann muss sie das selbst in die Hand nehmen. Als sie bei einem ihrer Ausflüge ins Nachtleben von Santiago auf Rodolfo (Sergio Hernandez) trifft, scheint es auch Amor gut mit ihr zu meinen. Doch während sie ihr Singledasein nach zwölf Jahren ziemlich im Griff hat, hat Rodolfo den Absprung noch nicht geschafft. Ein Jahr ist seit seiner Trennung vergangen, aber Unabhängigkeit ist für ihn und seine Familie ein Fremdwort.
Frauen im mittleren Alter, für die gibt es in Filmen meist nur die Nebenrolle der Mutter. Umso erfrischender, wenn jemand den Mut aufbringt, sie ins Zentrum zu rücken, mit ihren Hoffnungen, Begierden und Enttäuschungen. Ähnlich wie sein deutsches Pendant Silvi schreckt auch Gloria nicht davor zurück, die ungeschönten Erfahrungen einer nicht mehr jungen Frau zu zeigen; emotional, aber auch sexuell. Für so manchen Zuschauer dürfte es unangenehm sein, zumindest aber ungewohnt, Gloria und Rudolfo bei ihrem expliziten Liebesleben zuzuschauen. Andere wird es vielleicht sogar freuen, dass genau der Aspekt – Sexualität im Alter – nicht verschwiegen wird, sondern die Normalität erhält, die das Thema eigentlich haben sollte.
Anders als Silvi, die erst noch herausfinden muss, wer sie ist und was sie will, ist Gloria da schon deutlich entschiedener. Nur: Es fehlt der Mann dazu. Auch das ist ein Unterschied zu ihrer deutschen Kollegin. Waren dort die potenziellen Partner eher sonderbarer Natur mit recht eigenartigen Fetischen, ist Rodolfo erschreckend normal, vielleicht sogar etwas langweilig. Vor allem aber wird an ihm die Angst und Unsicherheit aufgezeigt, im Alter noch einmal etwas Neues anzufangen. Das alte Leben funktioniert nicht mehr, ganz aufgeben will man es dennoch nicht – denn es ist oft das einzige, was man kennt. Das einzige, was man hat. Gloria hingegen sehnt sich danach, wieder einen festen Platz zu haben, einen Partner an ihrer Seite.
Auch deshalb werden sich viele Zuschauer in dem Alter in Gloria wiederfinden. Insofern wundert es nicht, dass Gloria auf der Berlinale letztes Jahr zum Publikumhit wurde, Hauptdarstellerin Paulina García zudem den Goldenen Bären erhielt. Durch ihre Darstellung gewinnt die Tragikomödie eine Authentizität, die so groß ist, dass man manchmal kaum glauben mag, dass es noch ein Spielfilm ist. Humor findet hier auch eher beiläufig statt, subtil, so wie der gesamte Film ruhiger Natur ist. Wer bei Komödien in erster Linie Witze und Sketche erwartet, der wird am Ende leer ausgehen. Dennoch ist dem chilenischen Regisseur und Ko-Autor Sebastián Lelio mit Gloria ein besonderer Film geglückt, der das Leben feiert, wie es eben kommt. Spätestens wenn wir die Titelheldin beim Paintballspiel sehen, sie zwischendurch mal was raucht oder ganz am Ende zu Umberto Tozzis Klassiker „Gloria“ von 1979 das Tanzbein schwingt, spürt auch der Letzte: Leben ist keine Frage des Alters, es ist egal, ob du 25, 66 oder eben doch 58 bist. Leben ist das, was du draus machst.
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