(„Gravity“ directed by Alfonso Cuarón, 2013)
Der Weltraum, unendliche Weiten. Wann immer Menschen den Blick zum Horizont richteten, ließen sie ihrer Fantasie freien Lauf. Was würden sie dort finden, welche sonderbaren Welten würden dort auf einen warten? Welche Kreaturen? Von jeher versuchten Science-Fiction-Filme Antworten auf diese Fragen zu geben, je spektakulärer, umso besser. Und das Publikum dankte es Hollywood; von Krieg der Sterne über E.T. bis zu Avatar, einige der größten Blockbuster der Filmgeschichte entstammten diesem Genre. So verwundert es dann auch nicht allzu sehr, wenn jedes Jahr neue Anläufe gestartet werden, die großen Erfolge zu wiederholen. Dabei stellte sich der ungebrochen rasante Fortschritt bei der Tricktechnik nicht erst gestern als zweischneidiges Schwert heraus. Auf der einen Seite profitiert wohl kaum ein Genre mehr von der Möglichkeit, Effekte per Computer zu erzeugen. Ob futuristische Städte oder bizarre Lebewesen, das Gezeigte ist oft so verblüffend echt, dass man teils schon gar nicht mehr weiß, was real, was simuliert ist.
Der Nachteil jedoch ist, dass parallel die Erwartungen des Publikums ins Astronomische gestiegen ist: Was vor zehn Jahren noch State of the Art war, lockt heute kaum mehr einen hinter dem Ofen hervor. Und das hat seinen Preis. Wenn die Produktionskosten eingespielt werden wollen – und wann ist das nicht der Fall? –, müssen die Geschichten massenkompatibel sein und am Besten noch ein bekanntes Gesicht als Zugpferd vorweisen können. Das zeigte sich gerade letztes Jahr, als mehr als ein halbes Dutzend Großproduktion um die Gunst des geneigten SF-Fans kämpften. Pacific Rim oder After Earth, Elysium oder Star Trek Into Darkness, Oblivion oder Ender’s Game, immer sollten große Namen dafür sorgen, dass die Ausgaben zwischen 100 und 200 Millionen wieder reingeholt werden – was mal mehr, mal weniger gelang.
Und doch war es keiner von denen, der am Ende das Rennen machte, sondern ein Genrevertreter, den anfangs wohl keiner auf dem Schirm hatte: Gravity. Dessen Einspielergebnis lag nicht nur deutlich über dem der Konkurrenz, Kritiker warfen fast einstimmig mit Superlativen um sich. Hielt sich die Euphorie bei den anderen Produktionen meist in Grenzen, war das Science-Fiction-Drama schon vor dem Kinostart zum Oscarfavoriten erklärt – und wurde es mit zehn Nominierungen dann auch. Dabei sind die Eckdaten hier gar nicht groß anders: ein Budget von 100 Millionen, Sandra Bullock und George Clooney in den Hauptrollen, Regie übernahm der genreerfahrene Alfonso Cuarón (Children of Men). Nach Risiko und großem Mut hört sich das nicht an.
Doch der Unterschied betraf tatsächlich den Fokus: Weltraumschlachten? Spektakuläre Kampfszenen? Furchteinflößende Monster? All das gibt es hier nicht. Stattdessen konzentriert sich der komplette Film auf seine beiden Figuren. Bio-Medizinerin Dr. Ryan Stone (Bullock) und Astronaut Matt Kowalski (Clooney) sind auf einer Weltraummission, als ihr Shuttle durch herumfliegende Trümmerteile eines Satelliten zerstört wird. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, auf die Erde zurückzukommen, denn viel Treibstoff bleibt nicht. Und auch der Sauerstoff neigt sich bedrohlich seinem Ende zu.
Zwei Menschen, die durchs All treiben, ohne jemandem zu begegnen, ohne je einen Ort zu erreichen, wie spannend kann das schon sein? Bei Gravity – und das ist das Außergewöhnliche – lautet die Antwort eindeutig: sehr. Bereits wenn Stone und Kowalski das erste Mal von dem Weltraumschrott eingeholt werden und Gefahr laufen, von diesem mit ins All gerissen zu werden, ist das ein fieser Angriff aufs Nervenkostüm. Und diese Spannung wird über lange Zeit aufrecht erhalten; obwohl im Hintergrund eigentlich nichts zu sehen ist, obwohl um sie herum unendlich viel Platz herrscht, entwickelt der Film eine beklemmende, fast schon klaustrophobische Stimmung.
Dass Cuaróns Langzeitprojekt diese Wirkung erzielen konnte, wäre ohne die Leistung seiner Darsteller sicher nicht möglich gewesen. Clooney liefert eine routinierte Vorstellung ab, was nicht überraschend ist, denn sein Kowalski ist nur eine Variation der Rollen, für die der Amerikaner bekannt ist. Fans wird das freuen, andere könnte das Kalkulierte stören, zumindest langweilen. Aber Gravity gehört ohnehin nicht ihm, sondern seiner Kollegin: Der Film ist eine reine One-Woman-Show. Sandra Bullock wechselte in den letzten Jahren ja beständig zwischen seichten Komödien (Verrückt nach Steve, Taffe Mädels) und knallharten Dramen (Blind Side) hin und her. Hier wendete sich mal wieder Letzterem zu und darf zeigen, dass sie eine richtig gute Schauspielerin ist – das passende Material vorausgesetzt.
Dank ihr macht sich Cuaróns Plan auch erst bezahlt, seinen Science-Fiction-Film eben nicht so zu gestalten wie die Konkurrenz. Durch den Verzicht auf fantastische Elemente und die Rückbesinnung auf den Menschen, gewinnt Gravity seine emotionale Wucht. Ja, wir dürfen die Unendlichkeit des Alls bestaunen und dabei wunderbare Bilder sehen. Aber wir tun es eben durch die Augen von Stone, als jemand, der zum ersten Mal die Erde verlässt und völlig überwältigt ist. Eben keine abgebrühten Helden und alles könnende Supermänner in Kampfanzügen, die das Universum retten. Hier interessiert sich das Universum nicht für dich, merkt nicht einmal, dass du existierst. Und genau mit dieser Gleichgültigkeit, dem Alleingelassensein, gewinnt das Drama seine menschliche und nachvollziehbare Seite. Wir dürfen wieder wir sein.
Dass Gravity bis ins All gehypt wurde, kommt also nicht von ungefähr. Das Konzept ist so einfach wie neu und funktioniert auch wirklich. So gut, dass man über diverse Punkte gern hinwegsieht wie eben die uninteressante Nebenfigur Kowalski oder dass streng genommen die Handlung nicht sehr viel hergibt. Denn wirklich störend ist beides nicht. Wenn es einen größeren Negativpunkt gibt, dann ist es das völlig überkitschte Ende. Hier wurde dann doch zu sehr an das Massenpublikum gedacht, was einen unschönen Nachgeschmack hinterlässt. Doch davon sollte man sich nicht abhalten lassen und spätestens den Home Release zum Anlass nehmen, das Weltraumabenteuer zumindest einmal gesehen zu haben. Und sei es nur, um sich daran zu erinnern, dass Science-Fiction-Filme tatsächlich gut sein können.
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