Alles inklusive

Alles inklusive

(„Alles inklusive“ directed by Doris Dörrie, 2013)

Alles inklusiveEins, zwei, drei, vier, oben, unten, zu den Seiten … keine Chance. Zählbar sind sie schon lange nicht mehr, die vielen völlig identischen Balkone der Hotelzimmer, die aufs Meer hinausstarren. Wie Legebatterien von Hühnern sehen sie aus, hässlich, eng, anonym. Und das Geflügel? Das liegt am Strand oder am Pool, um sich die Haut zwecks späterer Prahlerei zu Hause knusprig zu braten. Oder sie sind damit beschäftigt, ihre eigenen Teller am Buffet so vollzupacken, dass sie sie kaum noch zu ihren Tischen tragen können – ist ja schließlich „alles inklusive“.

Nein, wir sehen gerade keine Reportage auf RTL oder eine Satire auf das merkwürdige Verhalten deutscher Pauschalurlauber. Zumindest nicht direkt. Vielmehr packt Deutschlands Vorzeigegeschichtenerzählerin Doris Dörrie in ihren neuesten Film – basierend auf ihrem gleichnamigen Roman – ein Potpourri der unterschiedlichsten Themen, Handlungsstränge und angeknackster Persönlichkeiten. Wie schon in Kirschblüten – Hanami vertraut sie auch in Alles inklusive auf die Darstellungskünste von Hannelore Elsner und Nadja Uhl, die sie ein ungleiches Mutter-Tochter-Gespann spielen lässt.

Spanien, hier hat alles angefangen. Und hier soll alles wieder zusammenfinden. In den 60ern waren sie oft in Torremolinos gewesen, Ingrid und ihre Tochter Apple. Ingrid war damals das volle Leben, genoss es, wie und wo sie nur konnte, und kümmerte sich wenig um Konventionen. Von der einstigen Hippiebraut ist heute nur wenig geblieben, Ingrid (Elsner) ist eine alte Frau geworden und musste sich eine künstliche Hüfte einsetzen lassen. Zwecks Rehakur schickt Apple (Uhl) ihre Mutter wieder an diesen Ort zurück, nur diesmal eben als Alles-inklusive-Touristin, Hotelklötze statt Hippiekommune ist angesagt, grässliche Animationsprogramme statt selbstbestimmten Spaß. Und bei einer dieser Shows trifft sie auf den Transvestiten Tina (Hinnerk Schönemann), der zu ihrem großen Entsetzen der Sohn eben jener Frau ist, der Ingrid seinerzeit den Mann ausgespannt hat.

Alles inklusive Szene 1

Selbstbestimmung ist auch bei Apple nicht unbedingt das vorherrschende Merkmal, selbst einige Jahrzehnte als Erwachsene haben sie nicht ihre chaotische Kindheit überwinden lassen. Regelmäßig lässt sie sich von Dr. Freud therapieren. Nein, nicht Sigmund. Der ist nicht nur eine ganze Weile tot, sondern wäre für die wenig vermögende Angestellte eines Radiosenders auch nicht zu bezahlen. Stattdessen hat Apple einen Hund, den sie nach dem berühmten Analytiker benannte und dem sie von ihren Problemen erzählt. Und von denen hat sie auch genug, gerade bei den Männern rennt sie von einer Katastrophe in die nächste. Doch jetzt scheint es, dass endlich auch sie einmal Glück haben könnte: Ihr Tierarzt Dr. Fellborn (Fabian Hinrichs) scheint sich tatsächlich für sie zu interessieren, selbst nach dem ersten verpatzten Date.

Diese beiden Parallelhandlungen bilden die Hauptsäulen von Dörries Romanverfilmung: Die Aufarbeitung der Vergangenheit in Spanien, die Romanze im heimischen Deutschland. Einzelne Rückblenden stellen die Verbindung zwischen den beiden Schauplätzen her, bevor am Ende die Stränge zusammengeführt werden. Während das Wiedersehen in Spanien tendenziell für die leisen, emotionaleren Momente vorgesehen ist, gibt es bei Apples linkischen Liebesversuchen vor allem Situationskomik zu sehen. So weit der Plan, der zumindest in der Theorie durchaus hätte funktionieren können.

Das größte Problem in der Praxis ist, dass einem all diese Figuren nicht sonderlich nah gehen. Sicher, Elsner spielt gewohnt wunderbar die Rolle der Frau, die sich viele Jahre später mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss. Aber Ingrid ist ebenso oberflächlich angelegt wie der Rest der oft schrägen Charaktere, die weinerliche Apple bald schon so enervierend, dass man sich fragt, warum ihr Verehrer nicht längst schon das Weite gesucht hat. Eine Entwicklung findet hier nicht statt, wirklich identifizieren will man sich mit keinem, was für die dramatischen Aspekte aber notwendig gewesen wäre. Etwas besser sieht es bei den komischen Elementen aus, da gibt es tatsächlich immer mal wieder was zu lachen. Aber auch hier ruht man sich zu schnell auf zu wenig aus, auf längst erzählten Witzen, auf Klischees.

Alles inklusive Szene 2

Hinzu kommt, dass Dörrie es eben nicht bei diesen beiden Handlungssträngen belässt, sondern noch mehr hineinzuquetschen versucht. Da wäre zum Beispiel Helmut (Axel Prahl), die alptraumhafte Verkörperung des deutschen Pauschaltouristen, der mit Ingrid anbändelt. Das bietet zwar Anlass für weitere satirische Spitzen, aber die werden schnell wieder fallengelassen und haben mit den eigentlichen Themen ohnehin wenig zu tun. Gleiches gilt für den krassen Kontrast zwischen reich und arm, als Ingrid auf einen afrikanischen Flüchtling (Elton Prince) trifft. Ein kurzer, intensiver Schockmoment, der aber mehr ablenkt, als dass er den Film unterstützt.

Und doch zeigt sich bei Letzterem – neben den soliden bis guten Schauspielerleistungen – die zweite Stärke des Films: die Bilder. Immer wieder verwendet Dörrie Detail- und Nahaufnahmen, die mehr Kraft und Aussage haben als die oft belanglosen Dialoge. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte – in Alles inklusive bewahrheitet sich das alte Sprichwort. Wäre der Inhalt ähnlich packend geworden wie das Drumherum, die Komödie hätte zu den deutschen Höhepunkten dieses Jahres zählen können. So aber reicht es nur fürs Mittelfeld: nett, anschaubar, aber gleichzeitig auch irgendwie überflüssig.



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Gute Schauspieler und tolle Bilder, das sind keine schlechten Voraussetzungen für einen Film. Leider sind die Figuren in Alles inklusive aber uninteressant, die Witze zu altbacken, zu viele Themen werden angeschnitten und wieder fallengelassen. Damit reicht es bei Döris Dörries Romanverfilmung nur fürs Mittelfeld.
5
von 10