Captain Phillips

Captain Phillips

(„Captain Phillips“ directed by Paul Greengrass, 2013)

Captain PhillipsPiraten tragen schwarze Hüte mit Federn oder Totenkopfemblem, auf der Schulter sitzt ein Papagei, und sie haben in der einen Hand einen Krug mit Grog, in der anderen ein Säbel – immer bereit, andere über die Planke gehen zu lassen. Soweit die Bilder, wie wir sie im Kopf haben, romantisiert durch Asterix, Pirates of the Caribbean oder viele weitere Beispiele aus Literatur und Film. Die heutige Realität sieht da etwa anders aus. Noch immer machen Seeräuber die Sieben Weltmeere unsicher und kapern schutzlos umherfahrende Schiffe, aber Methoden und Täter haben sich verändert. Vor allem die häufigen Angriffe an der somalischen Küste schafften es vor einigen Jahren in die Schlagzeilen, kaum einer jedoch mehr als die spektakuläre Entführung von Captain Phillips.

Im April 2009 war das, Richard Phillips (Tom Hanks) machte sich mit seiner 20-köpfigen Crew auf dem Weg von Oman nach Mombasa. Eine Routinefahrt für den erfahrenen Captain, so dachte er zumindest. Doch die zunehmenden Piratenangriffe in der Gegend sind ein Grund zur Sorge. Und tatsächlich nehmen zwei Schnellboote Kurs auf das voll bepackte Containerschiff. Einen ersten Kaperversuch kann der smarte Captain noch abwenden, doch bei einem zweiten verlässt ihn das Glück: Vier schwer bewaffnete Somalier, angeführt durch Muse (Barkhad Abdi), stürmen die Maersk Alabama und übernehmen die Kontrolle. Die Mannschaft ist den Entführern zwar zahlenmäßig überlegen, hat aber weder Waffen noch Kampferfahrung. Dafür kennen sie das Frachtschiff natürlich wie ihre Westentasche und wissen diesen Vorteil für sich zu nutzen.Captain Phillips Szene 1

Authentizität trifft Professionalität, so könnte man das Erfolgsrezept von Captain Phillips beschreiben. Das schauspielerische Aushängeschild Tom Hanks bedarf keiner großen Vorstellung, aber auch auf der anderen Seite der Kamera tummeln sich profilierte Filmemacher. Regisseur Paul Greengrass durfte schon in Die Bourne Verschwörung und Das Bourne Ultimatum sein Händchen für spannende Filme zeigen, Drehbuchautor Billy Ray war am Blockbuster Die Tribute von Panem – The Hunger Games beteiligt. Dass dieses Dreiergespann zusammen einen guten Film auf die Beine stellen würde, kommt daher nicht überraschend.

Bemerkenswert ist dafür die Leistung der vier unerfahrenen Piratendarsteller. Wenn Abdi bei seinem ersten gemeinsamen Auftritt ein Blickduell mit Hanks startet und dies auch wirklich auf Augenhöhe durchzieht, dann ist das nur die erste von vielen brutal intensiven Szenen. Schön dabei ist, dass hier auf eine typische Heldenzeichnung verzichtet wurde. Captain Phillips ist kein Superheld, der mit Drehkicks gleich eine ganze Reihe von Feinden in den Boden rammt, sondern ein etwas biederer, wenig durchtrainierter Durchschnittsmensch in einer nicht durchschnittlichen Situation. Grips hat er, Mut auch, vor allem aber auch ein starkes Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein. Und spätestens wenn in seiner letzten, sehr bewegenden Szene gezeigt wird, wie überfordert der gute Mann letztendlich war, versteht man, warum Hanks für seine Leistung lange als Oscarkandidat gehandelt wurde.Captain Phillips Szene 2

Aber auch bei den Piraten haben wir es nicht mit standardisierten Bösewichtern zu tun. Nein, beschönigt wird nichts, Greengrass lässt keinen Zweifel daran, dass der Überfall ein Verbrechen war. Aber eben keines aus Habgier, aus Sadismus heraus, sondern aus Verzweiflung. Zu Beginn von Captain Phillips sehen wir Somalia von seiner finsteren Seite: Eine Reihe von Jugendlichen prügelt sich fast darum, Teil der Piratencrew zu sein, um so ihrem Elend zu entkommen. Fischer sind sie, keine abgebrühten Bandenmitglieder. Aber Fischer, die schon lange keine Beute mehr machen, seitdem illegale Fangflotten anderer Länder ihnen die Lebensgrundlage entzogen haben. In dem kriegsgebeutelten Land, eines der ärmsten der Welt, fehlt es schlicht an Perspektiven. „It’s only business“ betont Muse mehrfach. Das einzige, das ihnen geblieben ist.

Parallel zu den hoch spannenden Thrillerelementen – und die gibt es, oft genug sitzt man als Zuschauer auf der Sofakante – entwickelt sich Captain Phillips so zu einem menschlichen, richtig harten Drama. Dass Greengrass auch damit Erfahrung hat, wissen wir seit Flug 93, bei dem er schon einmal eine reale Tragödie möglichst realistisch wiedergeben wollte: die Flugzeugentführung zum 11. September. Der Anspruch auf Authentizität ist ihm hier ebenso geglückt, seine Entscheidung, sämtliche Szenen tatsächlich auf dem Meer zu drehen anstatt im Studio, kommen seinem Film wirklich zugute. Nichts wirkt übertrieben, man hat zu jeder Zeit das Gefühl, selbst an Bord des Schiffs zu sein. Die zweite Hälfte des Films ist vielleicht ein wenig lang geraten, da kommt die Geschichte teilweise kaum voran. Davon aber einmal abgesehen ist dem irischen Regisseur aber eine sehr gute Genremischung geglückt, die auch nach dem Abspann noch nachwirkt.



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In dem einen Moment ein brutales menschliches Drama, dann wieder hoch spannender Thriller erzählt Captain Phillips die wahre Geschichte einer Schiffsentführung. Authentisch in Szene gesetzt und großartig gespielt bietet die Genremischung über weite Strecken sehr gute Unterhaltung.
8
von 10