(„And Then There Were None“ directed by Peter Collinson, 1974)
Wie viele Bücher Agatha Christie bis heute verkauft hat, das lässt sich kaum noch überprüfen. Mehrere Milliarden waren es auf alle Fälle, das Guinness Buch der Rekorde ernannte die Krimiautorin zur erfolgreichsten Romanautorin aller Zeiten. Und selbst wer kein Anhänger des Genres ist, kennt ihren Namen und den ihrer bekanntesten Figuren Hercule Poirot und Miss Marple. Kein Wunder also, dass zahlreiche Adaptionen für Kino oder TV um die Gunst der Fans buhlten, einige davon wurden dabei sogar selbst zu Klassikern. Die humorvolle Miss-Marple-Reihe mit Margaret Rutherford ist fünfzig Jahre später noch immer Stammgast im deutschen Fernsehen, ebenso die Poirot-Filme mit Peter Ustinov. Unvergessen sind aber auch Zeugin der Anklage von 1957 und Mord im Orient-Express aus dem Jahr 1974, ein jeder für mehrere Oscars nominiert.
Im selben Jahr entstand Ein Unbekannter rechnet ab, der wie so viele Christie-Verfilmungen aus der Zeit vor Stars geradezu wimmelt: Oliver Reed und Elke Sommer zum Beispiel, Gert Fröbe und Richard Attenborough, Herbert Lom und Charles Aznavour, im Original ist sogar Orson Welles zu hören. Die Geschichte des Films ist nicht minder bekannt, basiert sie doch auf dem Roman „Und dann gabs keines mehr“, der mit über 100 Millionen Exemplaren immerhin zu den zehn meistverkauften überhaupt zählt.
„Zehn kleine Negerlein,
die tranken ein Glas Wein.
Das erste, das verschluckte sich,
da waren’s nur noch neun.“
Inzwischen aufgrund des diskriminierenden Ausdrucks Neger verpönt, griff Christie 1939 den makaberen Zählreim als Leitthema für einen nicht minder makaberen Roman auf. Zehn Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern und Schichten treffen auf einer Insel zusammen. Keiner kennt sich, Gemeinsamkeiten gibt es keine. Und doch wurden sie alle von einem gewissen U. N. Owen auf die Insel gelockt. Wer das ist, kann keiner der Anwesenden sagen, dafür scheint er die zehn umso besser zu kennen: Eine Schallplattenaufnahme enthüllt, dass jeder von ihnen sich eines Todes schuldig gemacht hat, der nie gesühnt wurde.
Ein schlechter Scherz? Könnte man meinen, bis der erste stirbt. Und dann noch jemand. Nach und nach fallen sie alle dem großen Unbekannten zum Opfer. Schnell dämmert es den Überlebenden, dass es ihr Gastgeber verdammt ernst meint mit seinen Anschuldigungen und er nun selbst für Gerechtigkeit sorgen will. Und schlimmer noch: Die Insel ist völlig verlassen. In anderen Worten, der Mörder muss einer von ihnen sein.
Ein Unbekannter rechnet ab verlegt das Geschehen zwar in ein verlassenes Luxushotel in der iranischen Wüste und übernimmt wie die meisten Verfilmungen das Ende der Theaterversion, hält sich sonst aber eng an das Grundkonzept. Das bedeutet, dass wie bei Christie üblich die Suche nach dem Mörder im Mittelpunkt steht und man keine allzu hohen Erwartungen an die Nachvollziehbarkeit stellen sollte. Schon die Ausgangslage ist wenig plausibel, die Verhaltensweisen der Charaktere und die Morde sind es auch nicht.
Doch den Anspruch auf Realismus hatte die britische Autorin ohnehin nie gehabt, ihr ging es um vertrackte, puzzlegleiche Kriminalfälle und Spannung. Und die hat auch diese Verfilmung zu bieten. Sofern man die Auflösung nicht bereits kennt, ist man schnell beim Rätselraten dabei, stellt Hypothesen auf, wer der Mörder wohl sein mag und wen es als Nächstes erwischen wird. Dafür sind die Morde an sich recht dröge inszeniert. Dabei stört weniger das Fehlen von Blut oder Gewalt, sondern dass sie zu schnell, zu beiläufig passieren. Was in anderen Krimis zu den Spannungshöhepunkten zählt – der Mörder ist wieder da! – verkommt hier zum Beiwerk. Der Geschichte selbst hat das aber nur wenig geschadet. Und da das weitläufige Hotel und die angrenzenden verfallenen Ruinen ein stimmungsvolles Ambiente abgeben, wird Genrefans hier einiges geboten. Ein Klassiker wie die Beispiele oben wurde Ein Unbekannter rechnet ab zwar nicht, ordentlich unterhalten wird man aber auch hier.
Ein Unbekannter rechnet ab ist seit 28. März auf DVD erhältlich
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