(„Her“ directed by Spike Jonze, 2013)
Unterwegs per Fingerwisch E-Mails schreiben, sich Restauranttipps geben lassen, die nächste U-Bahn-Verbindung raussuchen – alles ebenso praktisch wie alltäglich. Das heißt aber nicht, dass man das nicht noch verbessern könnte. Wie wäre es beispielsweise, wenn man all diese Tätigkeiten nicht mehr selbst ausführen müsste? Wenn die eine künstliche Intelligenz übernähme, vergleichbar mit einer persönlichen Assistentin, nur eben digital?
Theodore Twombly (Joaquin Phoenix) hat so eine. Angeregt von einer Werbung leistet er sich eines dieser neuartigen Betriebssysteme, die komplett individualisiert sein sollen. Bye bye Allzwecklösung, willkommen Samantha (Stimme im Original: Scarlett Johansson). Auf diesen Namen hört seine neue Begleitung nämlich, die nach dem Beantworten einiger persönlicher Fragen exklusiv für Theodore zusammengestellt wurde. Sie erledigt nicht nur den Schreibkram für ihn und sucht Lieder für ihn raus, sie ist auch eine ständige Ansprechpartnerin für ihn. Und genau das braucht er, nachdem er immer noch unter der Trennung von seiner Frau Catherine (Rooney Mara) leidet. Und wie das nun mal so ist, wenn man viel Zeit miteinander verbringt, es entwickeln sich Gefühle, man kommt sich näher – und das ist gar nicht so einfach, wenn der Andere überhaupt keinen Körper hat.
Ernst gemeinte Romanze oder vielleicht doch spöttische Gesellschaftssatire? Das ist beim neuesten Film von Spike Jonze eine verdammt schwierige Frage. Dass zwei Menschen zueinander finden müssen, die durch äußerliche Merkmale getrennt sind – Alter, Hautfarbe, Gesellschaftsschicht, sexuelle Orientierung – dürfte so ziemlich die am häufigsten verwendete Konstellation in einem Liebesfilm sein. Dieses Merkmal nun darauf anzuwenden, ob die beiden überhaupt einen Körper haben, wirkt wie die konsequente Fortsetzung des Grundthemas und Parodie desselben in einem. Die meiste Zeit über ist Her nämlich in erster Linie witzig. Wenn Theodore und Samantha zwischendurch sogar Sex haben oder Frau Betriebssystem einen Hang zur Eifersucht zeigt, dann wird es herrlich absurd.
Auch sonst lässt Jonze keine Gelegenheit aus, sich über die neuen Technologien lustig zu machen. In seiner Absicht ähnelt Her damit Disconnect Anfang des Jahres, im Vergleich zu dem teilweise doch recht plakativen Episodenfilm wählte er aber das Mittel subtilen Humors. Theodore vertreibt sich die Zeit mit einem grafisch beeindruckenden, inhaltlich völlig belanglosen Videospiel, seine Nachbarin Amy (Amy Adams) entwickelt eine groteske Supermamasimulation und die Menschen sind so sehr mit ihren Betriebssystemen und dem damit verbundenen Knopf im Ohr beschäftigt, dass sie ständig Selbstgespräche führen, ihrem realen Umfeld aber keine Beachtung schenken.
Und doch ist Her alles andere als ein kalter, pessimistischer Film, vielmehr steckt er voller Wehmut, Nostalgie und Menschlichkeit. Zum Beispiel verdient Theodore sein Geld, indem er für Andere Briefe, insbesondere Liebesbriefe, schreibt. Und damit hat er großen Erfolg, denn die Menschen sehnen sich gerade in einer Zeit der digitalen, unpersönlichen Kommunikation nach den altmodischen, handgeschriebenen Nachrichten. Aber sie haben es verlernt, müssen das, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, teuer erkaufen und als ihre eigenen Briefe ausgeben.
Dieses Briefunternehmen ist nur ein Beispiel für die originellen Ideen, die Jonze in seinen Film gepackt hat. Dass er dieses Jahr mit Her einen Oscar für das beste Originaldrehbuch erhielt, war also hochverdient. Unverständlich, dass die Schauspieler hingegen nicht einmal eine Nominierung erhielten. Phoenix findet mit seinem reduzierten Spiel die richtigen Mittel für den introvertierten Theodore, der in seiner Trauer ausgerechnet bei einem Computerprogramm Trost findet. Und Adams, die dieses Jahr für American Hustle nun schon zum fünften Mal leer ausging, dürfen wir ebenfalls in diversen emotionalen Momenten erleben.
Am stärksten ist Her dann auch gar nicht unbedingt während der vielen komischen Szenen – so gut diese auch sind –, sondern bei den kleinen, zwischenmenschlichen. Wenn es gar nicht um Technik geht, sondern um Einsamkeit, die fehlende Gemeinschaft, die Suche nach Halt. Sucht man nach Kritikpunkten, wäre die Länge vermutlich der größte. Ganz so exzessiv wie unlängst die Kollegen Tarantino (Django Unchained) und Scorsese (The Wolf of Wall Street) wird es zwar nicht, an einigen Stellen hätte Spike Jonze aber dennoch kürzen dürfen, gerade im letzten Drittel.
Aber auch wenn er dort etwas auf der Stelle tritt und damit das sehr hohe Niveau unnötig verwässert, ist Her ein absolut wunderbarer Film geworden. Wer nach Jonzes letzter Drehbucharbeit Jackass: Bad Grandpa befürchtet hat, er hätte sein Gespür für die leisen Töne verloren, darf also aufatmen. Und spätestens beim herzerwärmenden Ende hat man das Bedürfnis, das Handy auch nach dem Kinobesuch noch ausgeschaltet zu lassen und stattdessen vielleicht wieder persönlich mit anderen zu sprechen. Oder auch mal wieder einen Brief zu schreiben. Einen richtigen.
Her läuft ab 27. März im Kino
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