(„The Passion of the Christ“ directed by Mel Gibson, 2004)
Immer wieder stellt sich beim Filmeschauen die große Sinnfrage: Wozu gibt es eigentlich Filme? Warum sollte ich sie mir anschauen?
Zur Unterhaltung meistens, man will sich zum Lachen bringen lassen, zum Weinen, zum Fürchten. Vielleicht will ich auch etwas Neues erfahren, Denkanstöße für mein Leben suchen. Sehen, wie andere sich selbst verwirklichen oder auch die Welt auf den Kopf stellen, indem sie bewusst mit dem Medium Film deren Gesetze außer Kraft setzen. Für all das gibt es gute Beispiele.
Und dann gibt es noch Die Passion Christi.
Fast genau zehn Jahre ist es her, dass Mel Gibson mit seiner dritten Regiearbeit einen der kontroversesten und gleichzeitig erfolgreichsten Filme aller Zeiten drehte. Und noch immer wird darum gestritten, was den Australier dazu bewogen haben könnte, die letzten Stunden im Leben von Jesus von Nazareth erzählen zu wollen. Kennen dürfte die Geschichte fast jeder, auch wenn der Beginn von Die Passion Christi zuerst auf eine ganz andere Art Film schließen lässt. In düster-bläulichen Farben gehalten sehen wir dort, wie Jesus (Jim Caviezel) mit seinen Jüngern in einem Wald das Nachtlager aufgeschlagen hat. Dazu gibt es noch Visionen eines androgynen Teufels. Wenn man es nicht besser wüsste, man könnte hier noch meinen, in einem Fantasyabenteuer à la Herr der Ringe gelandet zu sein.
Welch ein Kontrast, wenn wir dann in den gelb gehaltenen Tempel wechseln, wo die Hohepriester in ihren prächtigen Kostümen das Ende des Messias vorbereiten. 30 Silberlinge bietet deren Anführer Kaiphas (Mattia Sbragia) Judas (Lucas Lionello), damit dieser seinen Herrn verrät. Was der dann auch tut. Nachdem die Geistlichen ihren Gefangenen eine Zeit lang ausgiebig misshandelt haben, liefern sie ihn dem römischen Statthalter Pontius Pilatus (Hristo Naumov Shopov) aus, denn nur er darf ihn hinrichten. Zunächst denkt der gar nicht daran, sieht er doch keine Schuld bei dem Angeklagten. Aus Angst vor einem Aufstand willigt er aber doch ein und Jesus’ qualvoller Gang zum Berg Golgatha beginnt, wo er dann als Strafe für seine Gotteslästerungen gekreuzigt werden soll.
„Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben“, heißt es in der Kirche. Gibson zeigt, was damit eigentlich gemeint ist. Hier wird minutenlang gefoltert, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Publikums. Angedeutet wird nichts, beschönigt sowieso nicht, die Kamera hält selbst dann noch auf den geschundenen Körper, als jeder Horrorregisseur schreiend das Weite gesucht hätte. Das Ergebnis sind Gewaltszenen, die in ihrer Direktheit und Brutalität ihresgleichen suchen und bis heute verstören.
Was dann auch der am häufigsten geäußerte Kritikpunkt war und ist: die exzessive Gewalt. Hätte es die gebraucht? Musste Gibson wirklich in Nahaufnahme zeigen, wie Jesus das Fleisch zerfetzt wird? Wer weiß. Der Vorwurf, hier hätte jemand einfach nur seinem Sadismus nachgeben wollen, liegt auf der Hand. Ebenso der, dass er durch Provokation einfach nur ein größeres Publikum anzuziehen erhoffte. Vielleicht war es aber auch eine ganz andere Form von Provokation, die Gibson im Sinn hatte, und zwar die, den Gläubigen vor Augen zu führen, was deren Predigten letztendlich bedeuten. Was hinter Worthülsen wie „Opfer“ steckt, die wie selbstverständlich und ohne großes Bewusstsein benutzt werden. Dazu passt auch, dass Gibson seine Figuren ausschließlich Lateinisch, Aramäisch und Hebräisch sprechen lässt, einiges, aber nicht alles untertiteln lässt – hier soll es niemand bequem haben.
Sollte Authentizität die Absicht gewesen sein, so ist sie hier teilweise aufgegangen: Die Qualen ihres Messias werden brutal ehrlich und ehrlich brutal vorgeführt. Während man diesen Szenen also bei allem Übelkeitsfaktor durchaus eine Daseinsberechtigung zusprechen kann, fällt das an anderen Stellen deutlich schwerer. Anfang und Ende des Films sind wie typische Hollywoodblockbuster inszeniert, was einfach nicht zu den rohen Szenen der Gefangenschaft passen will.
Der vielleicht größte Schwachpunkt ist aber der nicht enden wollende Aufstieg zum Berg. Mindestens ein Drittel des Films besteht daraus, dass ein Jesus mit unnatürlich makellosen Zähnen alle paar Minuten stürzt, ausgepeitscht wird, dazu läuft theatralische Musik. Unterbrochen wird die Prozedur nur durch Rückblenden, die jedoch ohne Belang für das Geschehen sind und in ihrer Künstlichkeit davon unnötig ablenken. Schockierend ist Die Passion Christi zu dem Zeitpunkt nicht mehr, ergreifend erst recht nicht, sondern in erster Linie langweilig. Wenn Gibson zum Ende auch noch völlig unnötig einem Mitgefangenen von einem Raben die Augen aushacken lässt und seinem Hang zum Pathos freien Lauf lässt, spielen die zuvor gezeigten interessanten Ansätze keine Rolle mehr.
Was einen wieder zu der anfänglichen Frage zurückführt: Wozu gibt es Filme? Die Passion Christi lässt einen nach gut zwei Stunden ratlos zurück, was eigentlich die Absicht dahinter war. Und mehrfach wird man sich Gibsons umstrittenes Werk ohnehin nicht anschauen wollen, gleich, ob man sich zu den Befürwortern oder Kritikern zählt. Dafür ist das Gezeigte eine zu große Zumutung. Dennoch ist es vielleicht sogar gut, dass es den Film gibt und dass er die Tage zum 10-jährigen Jubiläum wieder neu aufgelegt wurde. Denn wenn er eines schafft, dann ist es, den Zuschauer aus seiner Lethargie zu reißen, der zunehmenden Berieselung, der seligen Dämmerung. Und das ist Grund genug, sich Die Passion Christi doch zumindest einmal angeschaut zu haben.
Die Passion Christi ist seit 11. April auf DVD und Blu-ray erhältlich
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